09.05.2023

Ehrenamtliche Seelsorge – ein Ausbildungskurs

„In erster Linie zuhören“

Schweigend anwesend sein. Entspannung spürbar werden lassen. Aber auch schwierige Situationen aushalten. Darauf werden Menschen vorbereitet, die sich zu ehrenamtlichen Seelsorgern ausbilden lassen. Der nächste ökumenische Kurs beginnt im Herbst. Drei Absolventen geben einen Ausblick darauf. Von Heike Kaiser


Schweigen, zuhören, aber auch Gespräche über Leben und Tod führen: Das gehört zur seelsorglichen Arbeit am Krankenbett.


„Jeder Kontakt mit Menschen im Krankenhaus ist für mich eine besondere Begegnung – und eine einzigartige und wunderbare Erfahrung“, berichtet Lieselotte Henning-Reiss. Die Frankfurterin ist zurzeit in der Ausbildung zur ehrenamtlichen Seelsorgerin, im sogenannten Praxisjahr. Die evangelische Christin war vor ihrem Ruhestand lange als Diplompädagogin/Heilpädagogin beratend in einer Kinder-Jugend-Elternberatungsstelle beschäftigt. „Als ich im März 2019 in der Evangelischen Kirchenzeitung auf die Ankündigung der Ausbildung im ÖAKS, im Ökumenischen Arbeitskreis Seelsorge, aufmerksam wurde, war mein Interesse sofort geweckt“, erinnert sie sich. „Und ich war auf die ökumenische Gestaltung des Kurses neugierig“, ergänzt sie. Durch die Pandemie begann die Ausbildung erst 2021, später als geplant. „Doch die Überzeugung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, ist auch jetzt geblieben“, unterstreicht Henning-Reiss.

Lieselotte Henning-Reiss

Einmal in der Woche besucht sie auf „ihrer Station“ im Schifferkrankenhaus in Frankfurt-Sachsenhausen Patientinnen und Patienten. Nach dem Betreten des Krankenzimmers stellt sie sich vor, fragt nach dem Befinden. „Danach ,bin ich da‘, bin also offen für Themen und Anliegen.“ Sie versteht sich „hinhörend und zuhörend, nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen“.

Drei Grundhaltungen mitbringen

An manchen Betten beschränkt sich der Kontakt auf einen kurzen Gruß, „an anderen entstehen sehr lange intensive Gespräche“, berichtet Lieselotte Henning-Reiss. „Auch dem Wunsch, schweigend anwesend zu sein und Entspannung spürbar werden zu lassen, bin ich schon begegnet.“ Gelegentlich tun kleine Momente unbeschwerter Fröhlichkeit gut, „und gemeinsam zu lachen hat eine befreiende Wirkung“, so ihre Erfahrung.
Wer ehrenamtlich in der Krankenseelsorge tätig sein möchte, „für den ist es wichtig, neben der Freude und Offenheit im Umgang mit Menschen sensibel und einfühlsam zu sein, sich auf Menschen und ihre Bedürfnisse einstellen und zuhören zu können, aber auch belastende Momente auszuhalten“. In der Seelsorge, sagt Lieselotte Henning-Reiss, „geht es darum, zu begleiten, nicht aber aktiv zu handeln“.
Ähnlich sieht es Dr. Thomas Lindner, der wie sie in der praktischen Phase der zweijährigen Ausbildung ist: „Der Patient steht im Mittelpunkt, er bestimmt, ob er mit mir sprechen will oder nicht – und er bestimmt auch die Themen“, erklärt der 67-jährige Literaturwissenschaftler, der zwei Jahrzehnte lang als Fernsehredakteur beim ZDF gearbeitet hat. Lindner hat außerdem eine Ausbildung in Psychotherapie gemacht und führt in Mörfelden-Walldorf eine eigene Praxis. Wer sich für die Ausbildung zum ehrenamtlichen Seelsorger entscheidet, „sollte drei Grundhaltungen mitbringen: Akzeptanz – eine unbedingte Wertschätzung für die Menschen, die uns anvertraut werden; Empathie – Mitgefühl, Nächstenliebe; und Kongruenz – echt sein, authentisch sein“, unterstreicht er.

Tröstendes und Mutmachendes

Gedanken und Gefühle des Patienten nicht einfach wegzureden oder ihm mit Floskeln zu kommen, darauf werde er in der Ausbildung zum ehrenamtlichen Seelsorger gut vorbereitet. Und auch darauf,  Fragen über den Sinn des Lebens und das Sterben zu führen. „Es gibt manchmal schwierige Situationen auszuhalten: Angst, Verzweiflung, ja, auch Aggression“, sagt Lindner.
Als selbstständiger Psychotherapeut, Trauerbegleiter und Supervisor arbeitet Lindner im Hospiz St. Barbara in Oberursel, im Frankfurter Nordwestkrankenhaus und in zwei Hospizvereinen im Taunus. Ehrenamtlicher Seelsorger ist er im Offenbacher Ketteler-Krankenhaus. „Dort bin ich speziell in der Begleitung von onkologischen Patienten eingesetzt, die in der sogenannten palliativen Komplexbehandlung sind.“

Thomas Lindner

Lindner, der bis 2018 evangelisch war und dann zum katholischen Glauben konvertiert ist, kommt einmal in der Woche für drei Stunden ins Ketteler-Krankenhaus. „Vor zehn, 15 Jahren hätte ich mir noch gar nicht vorstellen können, in diesem Bereich zu arbeiten“, erzählt er. „Weil ich als Dreijähriger mal sehr krank war, habe ich später einen ganz großen Bogen um Krankenhäuser gemacht.“ Doch heute erlebt er gerade dort als Seelsorger viel Tröstendes, Mutmachendes. Nie vergessen wird er zum Beispiel eine Patientin, die kein Wort sprach, als er in ihr Krankenzimmer kam. Auf einem Zettel schrieb sie ihm: „Ich kann leider nicht mit Ihnen sprechen, aber ich kann schreiben. Bei einer Operation sind meine Stimmbänder verletzt worden.“ „Fast eine Stunde lang hat sie alles aufgeschrieben, was sie mir sagen wollte. Das war ein Erlebnis, das bis heute wirkt: Wie diese Frau ihre Notlage ganz offen angenommen, sich nicht zurückgezogen hat.“
Von einer Situation, die sie nach wie vor fesselt, berichtet auch Christa Schultheis. Die wissenschaftliche Bibliothekarin aus Niederdorfelden ist seit 2016 in der Uni-Klinik Frankfurt auf der Kinderstation als ehrenamtliche Seelsorgerin eingesetzt. Dort kümmert sie sich um Kinder, die eine Stammzellentransplantation benötigen.
„Aha, da hat Gott dich jetzt hingeschickt“, dachte die katholische Christin spontan, als sie in einem Krankenzimmer eine Dame mit ihrem vier- bis fünfjährigen Kind kennenlernte. „Als ich mich als ehrenamtliche Seelsorgerin vorgestellt habe, sagte die Mutter: ,Oh, ich komme aus der ehemaligen DDR, bin gar nicht getauft, wir hatten es ja mit der Kirche nicht so.‘ Sie hatte im Krankenhaus das Plakat gesehen, das auf die Seelsorge hinweist, und habe sich gedacht: ,Ach, schade, für uns gibt es so etwas nicht‘“, erinnert sich Christa Schultheis. „Ich habe ihr gesagt: ,Das ist doch kein Problem, ich bin für alle da. Sehen Sie, ich bin Christin, und weil ich gläubig bin, würde ich jetzt sagen: ,Mich hat Gott heute hierhin geschickt, weil Sie sich gewünscht haben, dass jemand kommt.‘ Das war so eine schöne Situation, an die ich oft denke.“

Aus Dankbarkeit etwas zurückgeben

Christa Schultheis

Christa Schultheis hat sich zur ehrenamtlichen Seelsorgerin ausbilden lassen, „weil ich dankbar dafür bin, dass es mir bislang so gut ergangen ist und ich so viel Glück im Leben hatte. Davon will ich etwas zurückgeben.“

„In erster Linie zuhören“, beschreibt sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit, „es geht im wahrsten Sinne um Seel-Sorge.“ Ihr habe schon mal jemand gesagt: „Es ist so schön, dass Sie sich um meine Seele sorgen“, berichtet sie. „Ich mach’ ja nichts Medizinisches, ich bin auch keine Psychologin. Ich bin einfach da und schaue, was der Bedarf ist.“

Im September beginnt der 25.Ökumenische Ausbildungskurs zur ehrenamtlichen Mitarbeit in der Seelsorge. Informationen: www.oeaks.bistumlimburg.de

Von Heike Kaiser