21.09.2021

Jahresserie "Beste Freunde": Freundschaft stilvoll beenden?

Auch das Ende hat seine Zeit

Gute Freundschaften sind ein Lebenselixier. Doch was, wenn sie zu Ende gehen oder beendet werden? Das beantworten die Theologin Ute Baumeister und die Psychologin Sabine Kollmeier. Sie sind Mitarbeiterinnen der Ehe-Familien- und Lebensberatungsstelle des Bistums Fulda in Hanau.


Beraterinnen in Hanau: Ute Baumeister (links) und Sabine Kollmeier geben Rat und Lebenshilfe in Hanau.


Wann ist es Zeit, eine Freundschaft zu beenden?
Ute Baumeister: Vor dem Beenden steht die Frage: Was macht überhaupt eine echte Freundschaft aus? Freundschaft ist immer ein Beziehungsgeschehen. Hier müssen sich (mindestens) zwei Menschen einig sein, dass sie eine enge freundschaftliche Bindung haben und pflegen möchten. Manche Freundschaften werden im Sandkasten geschlossen und halten ein Leben lang. Andere haben sich nach ein paar Wochen wieder erledigt. Das Ende einer Freundschaft kann sich langsam und beinahe unbemerkt anbahnen. Es kann aber auch abrupt geschehen, zum Beispiel, weil ein Konflikt sich nicht überwinden lässt. Wenn das „Haltbarkeitsdatum“ einer Freundschaft überschritten ist, dann sollten wir uns fragen: Was bedeutet mir diese Freundschaft?

Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
Sabine Kollmeier: Freundschaften spiegeln uns selbst auf eine eigene Weise wider. Wir suchen Gemeinsamkeiten, die uns bestätigen.  Manchmal aber auch das ganz „Andere“, weil wir unbewusst spüren, nicht gelebte Anteile von uns in einer Freundschaft entdecken zu können. So kann ein zurückhaltender, eher schüchterner Mensch durch die Freundschaft zu einer lebhaften, extravertierten Person den Mut finden, mehr aus sich herauszugehen. Der Lebhafte findet im Gegenpart einen Ruhepol und lernt vielleicht so, achtsamer mit sich umzugehen. Freundschaften stärken unsere Fähigkeiten, mit anderen in Beziehung zu treten. Sie sollen uns bereichern und glücklich machen und nicht anstrengend und belastend sein.
Für die Beendigung einer Freundschaft gibt es unterschiedliche Gründe:
Wenn Begegnungen nur noch aus Gewohnheit und Pflichtgefühl entstehen. Die emotionale Bindung ist verlorengegangen.
Das, was ursprünglich verbindend war, existiert nicht mehr.
Die Balance zwischen Geben und Nehmen ist gestört. Die Beziehung ist einseitig geworden.
Es gab einen Vertrauensbruch. Es kann sein, dass der Freund/die Freundin uns belogen hat, dass er/sie intime Details weitererzählt hat, dass er/sie uns in einer Notsituation im Stich gelassen hat.

Es gibt ein Lied mit dem Titel „50 Wege, deinen Liebhaber zu verlassen“. Kennen Sie fünf gute Wege, eine Freundschaft zu beenden?
Sabine Kollmeier: Fünf Wege fallen uns nicht ein, aber Ehrlichkeit und Authentizität. Bevor eine Freundschaft zu Ende geht, können wir in einem klärenden Gespräch mit dem Freund oder der Freundin ansprechen, was für uns nicht stimmt, was uns geärgert hat, welche Grenzen bei uns überschritten wurden und welche Enttäuschungen und Verletzungen bei uns entstanden sind. Das kann zur Beendigung der Freundschaft führen, es kann aber auch sein, dass beide zu Veränderungen und Einsicht bereit sind und der Freundschaft eine neue Chance einräumen möchten. Unser Tipp: Dieses Gespräch in offener Form führen, die Konflikte beherzt ansprechen, dabei aber auch die gemeinsam verbrachte wertvolle Zeit würdigen.

Ist es in Ordnung, eine Freundschaft einfach „auslaufen“ zu lassen?
Ute Baumeister: Ja. Menschen entwickeln und verändern sich über die Jahre. Daran ist niemand schuld. Manchmal wächst man zusammen, manchmal auseinander. Es ist gut, sich diese Veränderungen einzugestehen und nicht krampfhaft daran festzuhalten. Gemeinsamkeiten, die einmal verbindend waren, können als Bindeglied wegfallen und dann kann eine Freundschaft ins Wanken geraten. Wenn das bei einer Liebesbeziehung passiert, dann ist ein aktives Beenden auf jeden Fall besser, als ein im Sand verlaufen. Eine Freundschaft kann auch „leise“ zu Ende gehen, wenn dies im gegenseitigen Einverständnis geschieht.  Manchmal passiert dies auch wortlos.

Gibt es Konstellationen bei Freundschaften, die für Beteiligte problematisch sein können – etwa ein großer Altersunterschied und/oder eine Abhängigkeit? Sollte das beendet werden oder gibt es andere Möglichkeiten?
Sabine Kollmeier: Freundschaften können in den unterschiedlichsten Konstellationen entstehen. Hierbei spielt ein Altersunterschied, eine unterschiedliche kulturelle Herkunft, oder eine andere Lebensweise keine Rolle, solange es verbindende Elemente gibt und es eine Beziehung auf Augenhöhe ist. Vorsicht ist geboten, wenn wir spüren, dass die Freundschaft uns in unserem Ausdruck und unseren Entwicklungsmöglichkeiten hemmt. Ein Beispiel: Wenn ein Freund/ eine Freundin sich sehr dominant verhält, jederzeit die Kontrolle über den/ die andere  behalten will, der/die  andere dagegen sich komplett nach ihm oder ihr ausrichtet – vom Kleidungsstil über Freizeitaktivitäten bis hin zur völligen Selbstaufgabe – dann handelt es sich um eine ungute, emotionale  Abhängigkeit voneinander. Eine solche Freundschaft tut nicht gut.

Manche Freundschaften ruhen, werden aber bei einem erneuten Kontakt wieder lebendig – als wäre es wie gestern. Da wäre doch ein Ruhenlassen eine gute Alternative zum Beenden?
Ute Baumeister: Freundschaften bereichern unser Leben. Sie zeigen uns: Wir sind nicht allein auf dem Planeten. Es gibt andere, die kümmern sich um uns, fragen nach, geben uns Bedeutung, betten uns ein in ein Beziehungsnetz. Welche Bedeutung eine Freundschaft für uns hat, hängt nicht von der Nähe oder Distanz zum jeweiligen Freund/der Freundin ab, auch nicht davon, wie lange ich ihn oder sie nicht mehr getroffen habe, sondern davon, welchen Platz er oder sie in unserem „Herzen“ eingenommen hat. Von daher haben Sie Recht: eine solche Verbindung sollte nicht für beendet erklärt werden. Es gibt einen „Faden“, der uns mit diesem Menschen verbindet, ganz unabhängig von der Menge an gemeinsam verbrachter Zeit und frei von gegenseitigen Erwartungen.

Das Ende einer guten Freundschaft kann vor allem, wenn sie sehr intensiv erlebt wurde, unter die Haut gehen. Was hilft?
Sabine Kollmeier: Jeder Verlust im Leben will verarbeitet und betrauert werden. Wichtig erscheint mir eine Würdigung der schönen und bereichernden Momente, die uns durch diese Freundschaft geschenkt wurden, neben dem Eingeständnis, dass die Beziehung sich verändert hat und die verbindenden Elemente weggefallen sind. Wir sollten uns bewusst machen, dass wir nur durch den Prozess des Loslassens auch wieder offen werden für neue Erfahrungen und neue Begegnungen mit anderen Menschen.

Andersherum: Wenn ich den Verdacht habe, die Freundschaft wird vom anderen ausgenutzt, ist dann ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende?
Sabine Kollmeier: Das ergibt sich aus dem bisher Gesagten.

In den sozialen Medien haben manche Leute Hunderte oder noch mehr Freunde oder Freundinnen. Geht da nicht die emotionale Bedeutung von Freundschaft verloren, wenn etwa eine Freundschaft mit Mausklick endet?
Sabine Kollmeier: In der Tat bezeichnen Menschen Online-Kontakte manchmal als „Freunde“.
Für einige ist die Distanz im Internet wichtig und sie vermeiden vielleicht soziale Kontakte in der Realität, weil sie eher zurückhaltend und ängstlich sind, oder weil sie tiefsitzende Enttäuschungen erlebt haben. Da erscheint das unverbindliche World Wide Web zunächst einmal sicherer. Für andere wiederum ist mit den Online-Kontakten eine große Hoffnung verbunden, wahre Freundschaften oder eine Partnerschaft zu finden.
Die Lebensgeschichten unserer Klienten zeigen uns oft, dass das durchaus funktionieren kann. Manchmal stellt es sich jedoch als Illusion heraus und führt zu Enttäuschungen und Resignation.
Es ist wichtig, sowohl in der virtuellen, als auch in der realen Welt, zwischen Freundschaften und Bekanntschaften zu unterscheiden, auch um neue Kontakte nicht mit unerfüllbaren Erwartungen zu überfrachten. Gleichwohl kann aus einer lockeren Bekanntschaft Freundschaft werden. Im Internet ist die Gefahr groß, dass es zu einem Kontaktabbruch ohne vorherige Ankündigung kommt. Man spricht dann von „Ghosting“. Es gibt keine erklärenden Worte. Der oder die Verlassene bleibt verletzt, ratlos und oft mit Selbstzweifeln zurück. Ein Verstehen und eine Verarbeitung der Trennung wird massiv erschwert, oder sogar unmöglich gemacht. Klärende Worte sind ein Gebot der Fairness!

Beratungsstellen in den Bistümern Fulda, Limburg und Mainz:
www.ehe-familien-lebensberatung-fulda.de
ehe-familie.bistumlimburg.de/beitrag/beratung/
www.caritas-bistum-mainz.de/beratungundhilfe/

Interview: Hans-Joachim Stoehr