17.03.2014

Jahresserie Ü 50 – mittendrin! (2) – Wechsel – Umbrüche

„,Immer jung‘ ist eine Droge“

Altern ist unausweichlich, unaufhaltsam, unberechenbar. Trotzdem muss es nicht unattraktiv sein, wenn man weiß, damit zu leben. Dr. Stephan Sahm vom Ketteler-Krankenhaus Offenbach wirft einen medizinischen Blick auf das Alter und versichert: Altern ist keine Krankheit.

Dr. Stephan Sahm
Stephan Sahm ist Chefarzt im Offenbacher Ketteler-Krankenhaus.
Er empfiehlt, zu den vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen zu gehen.
Und sonst? Ruhe bewahren: „Altern ist ein normaler Vorgang des Lebens.“
Foto: privat

Frage: Ü50, Wechseljahre, Lebenskrise: Was geht da biologisch bei Mann und Frau vor?

Sahm: Bei der Frau lassen sich die Wechseljahre zeitlich ausmachen. Es ist der Zeitpunkt, wenn der Körper eine hormonelle Umstellung erlebt. Medizinisch ist es der Übergang von der reproduktiven in die postmenopausale Phase. Das heißt, die Frau lässt die Zeit der Gebärfähigkeit hinter sich.

Oft lässt die Monatsblutung nach, sie tritt unregelmäßiger in der Zeit vor dem endgültigen Versiegen auf. Den Zeitpunkt, an der die letzte hormonell gesteuerte Monatsblutung auftritt, bezeichnet man als Menopause. Dies alles sind normale Vorgänge, keine Krankheit.

Allerdings kommt es gelegentlich zu Beschwerden: Hitzewallungen, Schweißausbrüche, auch ein Mangel an sexuellem Verlangen. Beim Geschlechtsverkehr kann es zu Problemen etwa durch trockene Schleimhaut kommen. Oftmals beobachten Frauen auch Stimmungsschwankungen, vegetative Beschwerden an anderen Organen. Es ist unklar, ob man das Krankheit nennen muss. Es ist ein normaler Vorgang im Prozess des Alterns.

Ein entsprechendes Pendant bei Männern gibt es nicht. Die Produktion der männlichen Geschlechtshormone nimmt ab, doch bleibt die Fähigkeit zur Fortpflanzung beim Mann länger erhalten.

Oder wollen viele Männer nichts von einem Wechsel wissen?

Ich weiß nicht, ob Männer nichts vom männlichen Klimakterium – wie die Wechseljahre medizinisch genannt werden – wissen wollen. Biologisch gibt es dieses nicht in der Form, wie es manchmal verkündet wird. Oftmals stehen hier Verkaufsinteressen von Anbietern von Hormonprodukten im Vordergrund.

Gibt es denn Hormontherapien, die ab 50 helfen können und sinnvoll sind?

Viele Frauenärzte verordnen pflanzliche Präparate. Wichtiger sind jedoch körperliche Aktivität, vielleicht Entspannungsübungen. Die Therapie mit Hormonen wird heute kritisch gesehen. Wir wissen, dass sie auch schädliche Wirkung haben kann.

Auch den Männern sollte man nicht unbedingt eine Therapie mit Testosteron anraten. Sie kann sehr starke schädliche Wirkung haben, zum Bispiel ein erhöhtes Risiko für Prostatakarzinome, also Prostatakrebs, und vieles mehr. Die Hormontherapie sollte nicht zur Regel werden. Fast alle Frauenärzte sehen die frühere Mode, immer gleich weibliche Sexualhormone zu verschreiben, heute als einen Fehler an. Den gleichen Fehler sollte man bei uns Männern nicht wiederholen.

Wie wirken sich die Umstellungen Ü50 auf das psychische Wohlbefinden aus?

Oft fühlen sich Frauen schneller ermüdet, vielleicht erleben sie sich auch antriebsloser. Manche sagen, sie seien jetzt häufig nervös. Doch handelt es sich um Veränderungen, die auch in anderen Lebensphasen auftreten können. Ich neige nicht dazu, alle Prozesse seelischer und körperlicher Art, die bei uns Menschen auftreten, auf die Hormone zurückzuführen. Wissenschaftliche Untersuchungen, die kausale Zusammenhänge belegen, sind sehr rar. Das Gerede von der Midlifecrisis führt häufig erst zur Krise.

Alterungsprozesse werden häufig als Abbau wahrgenommen. Von Reife und Entwicklung ist selten die Rede. Wie sehen Sie das als Arzt?

Diese Frage ist sehr wichtig. Es kommt darauf an, wie wir die Veränderungen an unserem Organismus deuten. Ist es wirklich nur ein Abbau, wenn ich nicht mehr so schnell laufen kann, wie mein nun erwachsener Sohn? Ist es nicht normal, dass ein Körper sich verändert? Wir sollten das Altern nicht nur als einen Verfall deuten, sondern als einen normalen Vorgang des Lebens. Altern ist keine Krankheit, auch wenn uns das manche Wissenschaftler weismachen wollen.

Die Lebensmitte ist eine Phase, in der Veränderungen auftreten: Bei vielen gehen die Kinder aus dem Haus, im Beruf zeigt sich, dass es nicht immer weiter aufwärts geht mit der Karriere. Das ist normal für die fortschreitende Lebenszeit und hat nichts mit einem biologischen Abbau zu tun.

„Immer fit, immer jung“: Ist es gesund, diesem gesellschaftlichen Ideal mit „Ü50“ zu entsprechen?

Immer fit ist gut, immer jung ist eine Droge. Kein Zweifel, körperliche Aktivität verbessert das körperliche und seelische Befinden. Das gilt übrigens auch für das Singen.

Welche medizinische Vorsorge ist wichtig?

Die Dickdarmspiegelung, die Prostatauntersuchung bei Männern, die gynäkologischen Untersuchungen bei den Frauen und, was häufig vergessen wird, die hautärztliche Untersuchung zur Früherkennung von Hautkrebs.

Altern die Menschen heute langsamer?

Die Menschen haben heute eine längere Lebensspanne. Dies ist ein Segen. Manche Prozesse des Alterns setzen später ein, viele Vorgänge können verlangsamt werden durch die Unterstützungen, die wir erleben.

Warum kann man sich Namen immer schlechter merken?

Nicht alle Menschen können sich Namen zunehmend schlechter merken. Andererseits muss man nicht besorgt sein, wenn man in höherem Lebensalter eher mal nachschlagen oder nachfragen muss. Aber es ist wahr, zum Altern gehört es, dass die Sinne nachlassen. Man braucht zum Lesen eine Brille. Beim Begrüßen muss man nachfragen, wie denn der Name lautet. Ist das schlimm? Ich meine, es ist schlimm, wenn wir glaubten, wir müssten immer perfekt funktionieren.

Was bringen die Veränderungen „Ü 50“ Schönes?

Ich glaube, dass das Leben in allen Abschnitten Wunderbares bereit hält. Man sollte diese Erkenntnis aber auch nicht übertrieben zelebrieren. Wir neigen dazu, zu glauben, das Glück sei immer da, wo wir nicht sind. Ich meine, so wie es gerade ist, ist es meist gerade richtig.

Die Fragen stellten Ruth Lehnen und Marie Eickhoff.