10.08.2016

Kirche, Spielplatz, Schule und Bücherei: Im Park am Mäuseturm ist Raum für alles andere als eine dunkle Sage

Böser Bischof in Bingen am Rhein

In der Sommerserie führt die Kirchenzeitung Sie an zauberhafte Orte. Entdecken Sie Märchen mit allen Sinnen. Diesmal: Der siebte Sinn im Park am Mäuseturm. Von Sara Mierzwa.

Mäuseturm Foto: Sara Mierzwa

Früher Bahnstellplatz, dann Landesgartenschaugelände und jetzt Freizeitort: Zehn Hektar groß ist der Park am Mäuseturm in Bingen. Während die Kinder am Wasserspielplatz mit Matsch spielen, sitzen die Eltern auf Bänken in der Sonne. Naturliebhaber, Leseratten und Sportfans kommen im Park auf ihre Kosten. Die Sage um den namensgebenden Mäuseturm auf einer Insel im Rhein, der vom Park aus sichtbar ist, kennen nicht alle Parkbesucher.

Die Sage um Bischof Hatto von Mainz

Im 10. Jahrhundert soll der Turm im Auftrag des Erzbischofs Hatto aus Mainz erbaut worden sein. Als die Region von einer Naturkatastrophe getroffen wurde, litten die Menschen Hunger. Dem gierigen und reichen Erzbischof ging es gut, weil sein Getreidespeicher gefüllt war. Mitleidslos verkaufte er das Getreide überteuert an die Bevölkerung und jagte alle Bettler davon. Dann rief er die Armen zusammen, unter dem Vorwand, ihnen Essen zu geben, ließ sie in eine Scheune einsperren und anzünden. Die Menschen verbrannten. Bischof Hatto soll bei den Schreien der Menschen gesagt haben: „Hört doch nur, wie die lieben Kornmäuse pfeifen“.

Nachts kamen die Mäuse aus allen Ecken und fraßen Kleidung und Vorräte des Bischofs auf. Er floh zu seinem Schiff, fuhr rheinabwärts und versteckte sich im Binger Turm. Doch die Mäuse schwammen auf die Insel und fraßen den Bischof bei lebendigem Leibe auf. Seitdem heißt der ehemalige Zollwachturm „Mäuseturm“.

Historisch ist wenig über Hatto bekannt. Wieviel üble Nachrede und Wahrheit in der Sage steckt, weiß keiner genau. Sagen wie diese sind kurze und mündlich überlieferte Erzählungen von fantastischen Ereignissen. In Abgrenzung zu Märchen sind sie mit realen Begebenheiten, Personen- und Ortsangaben verbunden, wie zum Beispiel dem Mäuseturm und dem Bischof. Ob man mit dem siebten Sinn, der auch als Intuition oder Ahnung bezeichnet wird, noch Spuren der Sage vom bösen Bischof Hatto im Park am Mäuseturm entdecken kann?

Wassermatsch und Spielquatsch

Am Wasserspielplatz ist alles friedlich. Wie der breite Rhein neben dem Park fließt hier ein kleiner Bachlauf über Wasserräder und Steine. Ein Holzfloß erinnert an die Flucht des Bischofs zur Insel. Hier auf dem Spielplatz rennen die Kinder beim Ritterspiel höchstens voreinander weg. Mäuse sind nirgends zu sehen. Tiere leben hier trotzdem viele auf den zum großen Teil naturbelassenen Wiesen: Bienen, Nilgänse und Schmetterlinge.

Wildwiese im Park am Mäuseturm. Foto: Sara Mierzwa
Wildwiese im Park am Mäuseturm. Foto: Sara Mierzwa

Etwas weiter steht ein bunt bemalter Bahnwaggon: „Das grüne Klassenzimmer“. Das Graffiti zeigt Frösche und ein Mädchen mit Fangnetz: Keine Spur von Bischof Hatto zu sehen. Jährlich kommen 3000 Kinder und Jugendliche an diesen ungewöhnlichen Lernort im Park am Mäuseturm. Sie lernen hier nicht nur die Geschichte des Ortes, sondern auch erneuerbare Energien, Papierschöpfen oder Stricken kennen. Und auch ohne Besuch des Klassenzimmers lässt sich im Park beim Spazierengehen viel lernen. Mitten auf der Wiese steht zum Beispiel ein Bücherschrank. Das Prinzip: Jeder kann Bücher herausnehmen, mitnehmen und lesen oder ausgelesene Bücher hineinstellen. Vielleicht steht auch ein Märchen- oder Sagenbuch im Schrank.
Von einer Terrasse am Parkende kann man zum Mäuseturm auf der Insel schauen und bei selten niedrigem Wasserstand auch hinüber waten. Im Hintergrund liegen die Weinberge. Vom „bösen“ Geist des Bischofs scheint nichts mehr an diesem Ort geblieben zu sein.

Weitere Informationen zu Veranstaltungen und Orten im Park: www.park-am-mäuseturm.info
 

Bücherschrank im Park. Foto: Sara MierzwaNoch mehr Bilder von dem Park

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