26.10.2016
Mit Zachäus auf dem Weg der Ehrlichkeit
Der Ehrliche ist ...
Zachäus war ein korrupter Beamter. Aber er kehrt um zur Ehrlichkeit. Rückkehr zur Ehrlichkeit: Das könnte auch heutzutage mancher brauchen.
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Pinocchio mit der Lügennase ist ja ganz lustig. Im wahren Leben kann man über Lügner nicht lachen. Foto: fotolia |
„Der Ehrliche ist der Dumme“, das war 2005 ein Bestseller des Journalisten Ulrich Wickert. Wirtschaft, Politik, Gesellschaft: Überall wird gelogen und betrogen, was das Zeug hält. Im Gro-ßen wie im Kleinen. Und wer ehrlich seine Steuern bezahlt, kein Büromaterial für zu Hause abzweigt und den Kratzer auf dem Parkplatz meldet, der ist schön blöd. Unehrlichkeit und Lüge – das hat aber viele Dimensionen. Und längst nicht immer geht es um Geld. Es fängt viel näher an: bei mir selbst.
1. Die „Ich-Ehrlichkeit“
„Die gewöhnlichste Lüge ist die, mit der man sich selbst belügt; das Belügen anderer ist relativ der Ausnahmefall“, schreibt Friedrich Nietzsche. Sich selbst belügen, das ist eine typische Reaktion bei Misserfolgen: „War nicht meine Schuld ... die Lehrerin/der Chef hatte mich schon immer auf dem Kieker ... eigentlich gehöre ich in die erste Mannschaft, aber der Trainer mag mich nicht ... natürlich hätte ich befördert werden müssen, aber der Kollege schleimt sich ein ...“ Sich einzugestehen, dass man vielleicht doch nicht der kommende Nationalspieler ist, der Kollege geeigneter ist oder meine Fähigkeiten für das Studium doch nicht reichen – das tut weh.
Auch die Familie ist ein großes Feld für Selbstbetrug: „Unsere Ehe ist wunderbar, wir sind halt nicht mehr in den Flitterwochen ... Nein, mein Mann trinkt nicht zu viel, das ist nur der Stress ... Beginnende Demenz? Unsinn, man kann doch mal was vergessen ...“ Das Problem: Erstens hält der Selbstbetrug nicht ewig, er verdrängt die Wahrheit vielleicht, aber er zerstört sie nicht. Zweitens macht Selbstbetrug nicht glücklich. Die Ehe bleibt schlecht, der Alkoholismus wird schlimmer und die Demenz auch. Drittens verbaue ich mir den Neubeginn selbst. Eheberatung, Alkoholentzug, Studienabbruch und Beginn einer Ausbildung – das gelingt erst, wenn ich mir selbst eingestehe, wo meine Probleme liegen. Dann aber kann es vorwärtsgehen.
Bei Zachäus war es wohl so: In der Begegnung mit Jesus fand er zu dieser grundlegenden Ich-Ehrlichkeit: Ich bin ein verlogener betrügerischer Mensch. Vielleicht kann glaubenden Menschen das auch heute noch gelingen: in der Begegnung mit Jesus einen mutigen und ehrlichen Blick auf sich selbst zu werfen.
2. Die „Du-Ehrlichkeit“
Ehrlich zu sein gegenüber anderen – das ist ein schmaler Grat. Auf der einen Seite stürzt man in den Abhang der Schmeichelei, der Lügen, um dem anderen nicht wehzutun. Auf der anderen Seite droht die Tiefe des Unsensiblen, des Elefanten im Porzel-lanladen, der im Namen der Ehrlichkeit nur Scherben hinterlässt. „Tell me lies, tell me sweet little lies“ heißt es in einem Popsong. „Sag mir Lügen, süße kleine Lügen.“ Sag mir, dass ich die Schönste bin, dass ich die Prüfung ganz sicher bestehe, dass der Seitensprung nichts Ernstes war, dass die Flaute auf dem Konto nur kurzfristig ist, dass die nächste Staffel von „Germanys next Topmodel“ garantiert mit mir stattfindet. Kleine Lügen, weil wir den anderen nicht runterziehen wollen, aber auch aus Bequemlichkeit. Man will schließlich keinen Ärger in der Familie oder im Freundeskreis.
„Das also ist keine Freundschaft, dass, wenn der eine die Wahrheit nicht hören will, der andere zum Lügen bereit ist“, meinte dagegen Cicero. Denn ohne schmerzhafte Wahrheiten zu akzeptieren, gibt es keinen Neubeginn, verläuft das Leben in Sackgassen und falschen Hoffnungen. Und von wem könnte ich unbequeme Wahrheiten besser annehmen als von jemandem, der mich liebt, dem ich vertraue?
Was aber nicht heißt, dass man jedem jederzeit „die Wahrheit“ wie einen „nassen Waschlappen um die Ohren hauen“ sollte. Denn das wäre das andere Extrem: im Namen der Ehrlichkeit lieblos zu werden. Zweifellos gibt es Situationen, in denen „die volle Wahrheit“ eher schadet, als nutzt. Ärzte berichten davon, dass sie schlimme Diagnosen manchmal etwas besser darstellen, um Patienten nicht die Hoffnung zu rauben; Eltern schönen „die Wahrheit“, um Kindern Leid zu ersparen oder sie anzuspornen. Mit „der Wahrheit“ verantwortlich umzugehen, ist immer auch ein kleiner Drahtseilakt.
3. Die „Wir-Ehrlichkeit“
Dass Ehrlichkeit gegenüber sich selbst oder gegenüber einem anderen nicht nur moralisch geboten ist, sondern auch langfris-tig mehr Glück verheißt, das ist vielleicht noch einzusehen. Aber wie ist es mit der Ehrlichkeit „der Gesellschaft“ gegenüber, „dem Staat“? Das ist so abstrakt, so groß. Was macht es da, wenn ich kleiner Mensch meine kleinen Schäfchen ins Trockene bringe? Wie bei Zachäus: Ob er betrügt oder nicht, das ändert doch das korrupte System nicht.
Oder vielleicht doch? Studien zeigen jedenfalls, dass Korruption Korruption anzieht, dass das Argument „Das machen doch alle“ wie eine Spirale nach oben wirkt. Diese Spirale zu durchbrechen, liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen. Insofern kann die neue Ehrlichkeit des Zachäus vielleicht Kreise ziehen. Und meine auch.
Von Susanne Haverkamp
Buchtipp:
Simon Biallowons/Thomas Schwarz: Ehrlichkeit.
Die zeitgemäße Tugend. Kösel, 219 Seiten, 24,80 Euro