05.07.2016

Fragen der Menschen rund um Liebe, Lust und Leidenschaft

Die Sache mit dem Sex

Hier stehen Antworten auf die Fragen von Leserinnen und Lesern der Kirchenzeitung, die Klarheit
bringen. Dieses Mal zum Thema Sexualität und Partnerschaft. Unsere Expertin Ruth Bornhofen-Wentzel ist Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Frage: In unserer Gesellschaft wird oft mit Extremen geworben: Man soll entweder „allzeit bereit“ sein oder verzichten. Leistungsdruck oder Lustfeindlichkeit. Was gehört zum „normalen“ Umgang mit Sexualität?

Bornhofen-Wentzel: Vor allem Gelassenheit: Extreme Sichten machen unserer Erfahrung nach ungeduldig und unzufrieden und  hindern immer Entwicklung. Die Leistungsorientierung unserer  Gesellschaft und die Tendenz, alles optimieren zu sollen, macht vor der Sexualität nicht Halt. Aber nicht nur hier: Beziehungen insgesamt leiden unter überhöhten Erwartungen und illusionären Vorstellungen. Wenn  sie Glück herstellen und garantieren sollen, überfordert man sich schnell. Wenn alles perfekt sein muss, ist der Weg nicht weit zur Lustfeindlichkeit.

Der Wunsch nach Zärtlichkeit               Foto: bilderbox

Nun gehören zum ganzen Menschen Leib und Seele, zur Beziehung Sexualität und Kommunikation, gemeinsame Verantwortung und gemeinsames Genießen und vieles mehr.
Sexualität ist etwas sehr Persönliches, was sich mit Lebenssituationen und Beziehungen verändern kann, was wachsen darf und sich entwickeln kann. Unser Blick in der Beratung versucht, die ganze Situation eines Menschen zu verstehen und zu würdigen.

Manchmal möchte ich den Fernseher ausschalten, gibt es doch dort nur noch Sex?

Es stimmt, wir leben in einer sexualisierten Gesellschaft – Sex erscheint omnipräsent, aber genauso allgegenwärtig, genauso  gewachsen sind Unsicherheiten und Schwierigkeiten. Wir leben in einer liberaleren und freieren Welt. Dieser Entwicklung  verdanken wir auch viel. Zum Beispiel konnten Frauen und Minderheiten wichtige Freiheiten gewinnen. Wir leben auch in einer komplizierten Welt voller widersprüchlicher Angebote,  die alle Aufmerksamkeit wollen. Es geht nicht mehr zurück in Zeiten, in denen es einfacher und klarer schien.
Mir scheint, es bleibt nur der Weg, für sich auszuwählen und selbstverantwortlich zu entscheiden.

Wie ist das mit Sex im Alter?

Wie gesagt, Sexualität ist ein Teil der Persönlichkeit, der uns durch das Leben begleitet. Sie kann mal wichtiger und weniger wichtig, bedeutender und weniger bedeutend sein. Sie darf sich in der Jugend anders ausdrücken als im Alter, kann bei jungen Eltern anders aussehen als in einer langdauernden Beziehung.
Jedes Lebensalter hat spezifische Entwicklungsaufgaben. Dazu gehört auch der Umgang mit der Sexualität, die immer integriert werden will. Was bis zum Ende, was immer bleibt, egal, in welcher Lebenssituation jemand ist, ist der Wunsch nach Berührung und Zärtlichkeit.

Der Partner will nicht mehr. Gibt es eine „eheliche Pflicht“?

Wir in der Beratungsstelle würden beide Partner fragen, in welcher Situation sie sind, wie sie sie einschätzen und was sie fühlen. Was hat sich verändert? Gibt es Krankheiten, Sorgen, Ärger? Was lässt sich verstehen? Welche Probleme und Konflikte gibt es? Vielleicht sind es solche, die nicht offen liegen oder nicht besprechbar scheinen. Wie hat sich die Beziehung entwickelt, sind sich die Partner sonst nah, oder gibt es Entfremdungen? Über solche Gespräche kann sich ein gegenseitiges Verstehen entwickeln. Verhärtungen können sich lösen und neue Nähe entstehen.

Mit wem kann man denn über Sex vertraulich sprechen? Haben Sie gute Adressen?

Sie können sich an jede Beratungsstelle wenden. Kirchliche Träger bieten Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen an, so wie unsere hier in Frankfurt unter www.hdv-ffm.de. Dort treffen Sie auf psychologisch ausgebildete vertrauenswürdige Beraterinnen und Berater. Dort ist Raum, über alle Beziehungsfragen und -probleme zu sprechen, egal, ob es um Streit, Auseinanderleben, Sexualität geht, oder was auch immer der Anlass sein könnte, zu kommen.
Immer folgt dann eine Klärung des Anliegens, dem folgt eine Reihe von Beratungsgesprächen, die individuell vereinbart werden. Das können wenige Gespräche oder auch ein Zeitraum von mehr als einem Jahr sein.
Beratungsstellen stehen jedem offen, unabhängig von Religion, Nationalität oder Orientierung.
Das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, zeigt sich in der großen Zahl an Klienten und Anfragen, denen wir in den Beratungsbeziehungen durch Sorgfalt, Professionalität und Fachlichkeit entsprechen.

Fragen zusammengestellt:
Bernhard Perrefort