19.09.2016

Thema: Das Jesus-Team (9) – Scheitern

Ein melancholisches Grüßen

Scheitern. Das Wort hört sich schlimm an, so schlimm wie sich Menschen dabei fühlen können. Doch Scheitern ist weder ein Verbrechen, noch eine Heldentat, sagt Joachim Frank. Von Anja Weiffen.

Joachim Frank vor dem Kölner Dom Foto: Anja Weiffen
Joachim Frank vor dem Kölner Dom                 Foto: Anja Weiffen

Steil ragt das Westportal des Kölner Doms empor. Joachim Frank hat kein Problem damit, im Schatten seines früheren Arbeitgebers – der Kirche – einen Kaffee zu trinken. Über seine Vergangenheit zu sprechen, das fällt ihm schon ein bisschen schwerer.

Der 51-Jährige ist Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe und Mitglied der Chefredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Frank schreibt mit spitzer Feder, 2014 wurde er für eine Recherche mit dem Wächter-Preis ausgezeichnet. Dass auch der Geistliche in ihm steckt, ist ihm auf den ersten Blick nicht anzusehen.

Und doch hat Joachim Frank die Ausbildung zum Priester hinter sich, in Rom hat er im „Pontificium Collegium Germanicum et Hungaricum“ (Priesterseminar in Rom) gelebt und an der Päpstlichen Universität Gregoriana sowie bei den Benediktinern in Sant’Anselmo studiert. 1992 wurde er zum Priester geweiht. Vier Jahre lang zelebrierte er die Messe, arbeitete in einer Pfarrei im Bistum Münster. „Mit diesem Lebensentwurf habe ich es damals sehr ernst gemeint“, erklärt er.

„Ich hatte eine Sehnsucht danach, dass es einen wichtigsten Menschen in meinem Leben gibt.“
Joachim Frank

Mit 31 Jahren aber entschied er sich, aus dem priesterlichen Dienst auszuscheiden. Auf die Frage, wie er gespürt habe, dass sein Weg für ihn nicht mehr stimmt, antwortet Frank knapp: „Ich habe mich verliebt.“
Heimlichtuerei kam auf Dauer für ihn nicht in Frage. „Ich habe einfach gemerkt: Ich hatte eine Sehnsucht danach, dass es einen wichtigsten Menschen in meinem Leben gibt.“ Eine „Spiritualität des zweiten Platzes“ – dass er als Priester in menschlichen Beziehungen immer einen Schritt zurückzutreten habe – war für ihn nicht mehr lebbar.

„Im Seminar waren wir alle auf ein Ziel hin ausgerichtet: Priester zu werden“, erinnert er sich. „Aber was danach kommt, der Alltag in einer Pfarrei, das ist noch einmal etwas ganz anderes. Was das Alleinleben für mich bedeutet, darüber habe ich mir damals nicht realistisch genug Rechenschaft gegeben“, gibt Joachim Frank zu.

Und: Familie, Schule, dann Bundeswehr, Priesterseminar – er bewegte sich von einer stützenden Struktur in die nächste. „Wer welches Messgewand trug, das waren im Seminar Fragen, über die wir uns die Köpfe heißreden konnten.“ Gerangel um Nebensächlichkeiten, „das kommt in jedem System vor“, sagt der Journalist und rührt seinen Kaffee mit Schlagsahne um. „Auch in Redaktionen.“ Manchmal gerät darüber das Eigentliche aus dem Blick.

Als moralisches Versagen empfindet Joachim Frank seinen „Bruch im Leben“ nicht, „wohl aber als eine existenzielle Schuld“. Zur Erklärung fügt er hinzu: „Ich habe Schatten geworfen, bin mir und anderen etwas schuldig geblieben.“

„Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt.“
Talmud

Niemand legt es darauf an, zu scheitern. „Ob der eigene Lebensentwurf aber gelingt, das hat ein Mensch nur bedingt in der Hand“, sagt Joachim Frank. Irgendwann stehen Entscheidungen für einen bestimmten Weg an. Ob der eine Gottes Wille ist oder der andere? Joachim Frank zuckt die Schultern. „Das ist für den Gläubigen die vielleicht schwierigste Frage.“ Würfelt Gott? Bei dieser Frage hilft Frank ein Satz aus dem Talmud: „Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt.“

Dass sich die Dinge für ihn gefügt haben, diese Erfahrung hat Joachim Frank vor 20 Jahren und auch danach gemacht. Die ersten, denen er seine Entscheidung mitteilte, waren sein bester Freund, sein geistlicher Begleiter, bald darauf auch sein Bischof Reinhard Lettmann. Sie waren „zwar traurig, aber verständnisvoll“, so beschreibt Joachim Frank die Reaktionen aus seinem Umfeld.

„Das war zwar keine Gotteserfahrung, aber ich habe die menschliche Seite der Kirche erlebt.“
Joachim Frank

Viel Unterstützung erfuhr er von Menschen in der Kirche, als er darum rang, „wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen“. Das ging ziemlich schnell, wie Frank im Nachhinein feststellt. „Ich bin rational mit der Situation umgegangen und habe mich gefragt, wie ich meine Talente einbringen kann.“ Zum Beispiel seine Neigung zum Schreiben. Im kirchlichen Umfeld fand er Mentoren, die ihm halfen, im Journalismus eine Ausbildungsstelle zu finden. „Das war zwar keine Gotteserfahrung, aber ich habe die menschliche Seite der Kirche erlebt, die ‚Barmherzigkeit‘, von der Papst Franziskus spricht.“

Doch als „Ex-Priester“ – das will Joachim Frank nicht in Abrede stellen – ist man in der Kirche nicht überall gut angesehen und wohlgelitten. Daher habe er es anfangs vermieden, offen über seine Vergangenheit zu sprechen. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner habe ihn und seinesgleichen sogar als „Verräter“ bezeichnet, weiß Frank, der als Kirchenexperte Meisners Worte und Taten sowohl für den „Kölner Stadt-Anzeiger“  als auch für die „Frankfurter Rundschau“ intensiv verfolgt und oft kritisch kommentiert hat.

Der „Lebensbruch“ vor einem Vierteljahrhundert ist für Joachim Frank heute nichts, womit er hadert oder wofür er sich schämt. „Aber erst recht nicht fühle ich mich irgendwie als Held. Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, dann …“, Frank nippt an seiner Kaffeetasse und denkt nach,  „… ja, dann ist es ein versöhntes, melancholisches Grüßen“.

Auf die Frage, was er Menschen sagen würde, die mit ähnlich tiefen Einschnitten in ihrem Leben konfrontiert sind, antwortet er: „Brüche als Brüche aushalten. Sie sind schmerzhaft und tun weh.“ Wenn die Ratgeber-Literatur vom „Scheitern als Chance“ spreche, könne das zur Gefahr werden, das Schwere allzu leicht zu nehmen. „Den Schmerz vorschnell übergehen zu wollen, das ist fast nicht lebbar.“

Seine Botschaft an die Amtskirche? „Der Intention von Papst Franziskus folgen und keinen Menschen ausgrenzen“, sagt der Journalist. Das habe Franziskus zum Beispiel auf der Familiensynode gezeigt. „Menschen auf Dauer für das zu bestrafen, was ihnen in ihrem Leben widerfahren ist, das kann ich mir nicht als den Willen Gottes vorstellen. Ich glaube, er will, dass unser Leben gelingt. Und dafür braucht es eine zweite Chance.“