22.12.2015

Mein Weihnachten – Eine Erinnerung von Ruth Lehnen

Eine Bärengeschichte

„Heute“, sagte ich zum Bären, „machen wir einen Ausflug. Du darfst mit in die Redaktion, weil ich eine Geschichte über Dich schreiben soll.“ Er freute sich. Sein Leben war in den letzten Jahren recht eintönig geworden, er saß meist im Regal herum und war sogar ein wenig eingestaubt.

Der Bär Foto: Ruth Lehnen
DER Bär Foto: Ruth Lehnen

In der Geschichte spielen mit: die Oma, der Tannenbaum, Lametta, das Christkind, ich und noch wer. Der Rest der Familie spielt auch mit, aber mehr so im Hintergrund.

Ich weiß nicht mehr, wie jung ich war, jedenfalls sehr sehr jung. Jünger als sieben Jahre, soviel ist gewiss. Weihnachten näherte sich geheimnisvoll, und uns Kindern sagte man, dass das Christkind uns etwas bringen werde. Dementsprechend aufgeregt waren wir. Wir hatten keine Ahnung, was es sein könnte. Am Heiligen Abend mussten wir schön angezogen sein, meine Schwester und ich trugen Röcke und Strumpfhosen und waren frisch gekämmt. Endlich durften wir ins Weihnachtszimmer. Der Tannenbaum erschien mir wie eine Vision, so schön, so groß, so glänzend und festlich.
 Ich bekam bestimmt noch mehr Geschenke, ich habe sie alle vergessen. Es gab bestimmt etwas Schönes zu essen, ich habe es vergessen. Gesungen oder gebetet wurde bei uns nicht, so fromm waren wir nicht. Aber die Oma war da! Die Oma war für uns Kinder die Größte: immer so lieb, immer so begeistert von uns, immer so warm und wohlriechend! Ich glaube, sie war es, die mir das Geschenk in die Hand drückte: einen Schuhkarton. Das Papier war schnell ab. Ich öffnete den Karton, und drin lag, in einem Bett von schwerem Lametta, der Bär.

Er war so ziemlich das schönste Geschenk meines Lebens; na, sagen wir, meines Kinderlebens. Er entzückte mich ganz und gar von der ersten Sekunde an, in der ich ihn erblickte. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich hatte einen Bären, meinen Bären! Für mich, ganz allein! Zwar war er kleiner als der große Bär meines großen Bruders, aber ich fand ihn viel schöner: das sanfte Braun, die lieben Augen, und das Quietschen, wenn ich auf seinen Bauch drückte.

Ich hatte nicht gewusst, dass ich mir einen Bären wünschte, dass ich einen Bären BRAUCHTE, bis er da war.

Und er ist immer bei mir geblieben, durch alle Jahre und Stationen meines Lebens. Ein sehr guter Mensch hat mir viel später noch mal ein Geschenk rund um den Bären gemacht: Er ließ ihm ganz fachgerecht neue Hände und Füße machen, da, wo das Stroh zum Vorschein kam. Seitdem ist der Bär wieder ganz gesund und nur ein bisschen abgegriffen. Wir werden zusammen alt werden, der Bär und ich.

Briefmarke Foto: Post„Und“, fragte ich den Bären, „wie findest Du die Geschichte?“ „Ach, sagte er, „die kannte ich doch schon.“ Weil er ein bisschen enttäuscht war, sagte ich: „Siehst Du, und jetzt hat die Deutsche Post aus dieser Geschichte eine Briefmarke gemacht, die Weihnachtsbriefmarke 2015.“ Das war zwar nicht ganz richtig, aber doch nur ein bisschen geschummelt. Das fand der Bär dann gut, darüber hat er sich gefreut.

(Foto: Deutsche Post)