30.04.2014
Die Kernbotschaft des Christlichen im Spiegel von Antrittspredigten
Einfach provozierend
„Vom spanischen Künstler Salvador Dalí stammt der Satz: „Wer interessieren will, muss provozieren.“ Ob dieses Motto jedoch – fast zwei Jahrtausende zuvor – die Absicht war, mit der Petrus nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte seine „Antrittspredigt“ beginnt?
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Die Predigt des Petrus. Gemälde von Fra Angelico von 1433. Foto: pa/akg |
Petrus hält den Israeliten vor, dass sie „durch die Hand von Gesetzlosen“ Jesus ans Kreuz geschlagen hätten. Das war sicher eine Provokation für die Zuhörer. Aber Petrus ging es darum, den Kern der christlichen Botschaft zu verkünden: dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, „dafür sind wir alle Zeugen“.
Antrittspredigten sind programmatisch. Die Zuhörer erwarten Richtungsweisendes, sie wollen den Prediger besser kennenlernen und wissen: Wie formuliert er den Kern der christlichen Botschaft?
Der gerade heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. hat in seiner Antrittspredigt am 22. Oktober 1978 zum Bekenntnis herausgefordert: „‚Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.‘ Ja, liebe Brüder, Söhne und Töchter, auf diese Worte kommt es an!“ Das Bekenntnis zu Jesus Christus ist für einen Christen entscheidend. Daraus ergibt sich alles Weitere; auch die im wörtlichen Sinn provozierende – herausrufende – Botschaft in den folgenden Sätzen: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“
Wer sich zu Christus bekennt, braucht keine Angst zu haben, der hat einen starken „Partner“ an der Seite. Das hat auch Papst Benedikt XVI. aufgegriffen: In seiner Antrittspredigt am 24. April 2005 sagte er: „Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück.“ Und dann zitiert er seinen Vorgänger und fährt fort: „Ja, öffnet die Tore weit für Christus – dann findet Ihr das wirkliche Leben.“
Aber nicht nur Päpste kommen in ihren Antrittspredigten auf den einfachen und gleichzeitig provozierenden Kern des Glaubens zu sprechen. Von dem evangelischen Theologen Karl Barth ist seine Antrittspredigt als Pfarrer in Safenwil – etwa 50 Kilometer südöstlich von Basel – überliefert, die er am 9. Juli 1911 hielt. Anders als Petrus beginnt er nicht mit einem Vorwurf an die Zuhörer, sondern sagt: „Liebe Freunde, ich habe mich lange gefreut auf den Augenblick, da ich euch nun anreden darf als meine Gemeinde, da ich vor euch treten darf nicht mehr als ein Fremder, sondern als euer Pfarrer.“
„Ihr könnt mich ablehnen, aber nicht das Wort“
Doch dann kommt auch er zum Kern: „Es soll sich zwischen uns nicht um Geld und Gut handeln und auch nicht bloß darum, dass wir in persönlicher Neigung und Eintracht miteinander auskommen, sondern darum, dass das Reich Gottes zu uns komme, wie wir im Unser-Vater beten.“ Das Reich Gottes ist der Kern der Botschaft, nicht der Prediger, deshalb fährt Karl Barth fort: „Ihr sollt euch klar sein, dass ihr mich ablehnen könnt, nicht aber das Wort, das ich euch zu bringen habe, eben darum, weil es größer und besser ist als ich selbst.“
Wer das Leben am Wort Gottes ausrichtet, der stößt auch auf Widerstand. Provozierend und einfach – einfach provozierend: Auf diese Weise hat es auch die heilige Hildegard von Bingen, die „Posaune Gottes“, im 12. Jahrhundert auf den Punkt gebracht. Ungewöhnlich für ihre Zeit war, dass die Mächtigen der Kirche auf eine Frau gehört haben.
Von der heiligen Kirchenlehrerin ist bekannt, dass sie auch auf Predigtreisen ging, dabei die Missstände im Klerus anprangerte und auch prophetisch-provozierend deutliche Worte fand, etwa: „Ihr seid Nacht, die Finsternis aushaucht. … Ihr seid zu Boden geworfen und seid kein Halt für die Kirche, sondern flieht in die Höhle eurer Lust. Ihr solltet eine Feuersäule sein, den Menschen vorausziehen, sie aufrufen, gute Werke … zu tun“, predigt sie dem verweltlichten Klerus von Köln. Hildegard sah ihre Aufgabe in der wuchtigen Buß- und Mahnpredigerin, um so der Botschaft Gottes neues Gehör zu verschaffen und vor Irrlehren zu warnen.
„Eine Predigt mit Wucht“ – so die Tageszeitung
Und auch Kardinal Rainer Maria Woelki hat in seiner Antrittspredigt als Erzbischof von Berlin am 27. August 2011 – fast ein Jahrtausend nach Hildegard – eine „Predigt mit Wucht“ gehalten, wie der Berliner „Tagesspiegel“ damals titelte. Doch waren seine Worte ganz anders herausfordernd als die der Hildegard: Christ ist, wer sich zu Christus bekennt – so einfach. Und doch so anspruchsvoll, gerade in einem Umfeld wie Berlin, wo die Christen in der Minderheit sind: „Wir haben ihnen zu bezeugen, dass Gott kein namenloses Es ist. Nein! Gott hat einen Namen! Wir können ihn anreden, so wie er auch uns angeredet hat – nicht einfach nur mit Worten, sondern mit dem persönlichsten Wort seiner Liebe: Jesus Christus.“ Das in einer Stadt zu sagen, von der böse Zungen behaupten, sie sei „gottlos“, ist dann wieder im guten Sinn eine Provokation.
Von Michael Kinnen