22.02.2016
Oscar für den besten Film erhalten
Glanztat der Reporter
Der Film „Spotlight“ erntet glänzende Kritiken. Kein Wunder: Schließlich verfassen Journalisten diese Lobeshymnen – und „Spotlight“ feiert die verdienstvolle Arbeit von Journalisten. Doch zweifellos wird das Publikum den Kritikern zustimmen: toller Film. Gesehen von Hubertus Büker.
1976, ein Polizeirevier in Boston. Mächtig Betrieb. Aus den Gesprächen der Beamten geht hervor, dass eben ein Priester in einer Zelle der Wache gelandet ist. Erwischt, als er, mal wieder, übergriffig geworden ist. Man telefoniert. Dann sehen wir ein Auto, das am Hintereingang parkt. Der Priester tritt mit einem Mitbruder aus der Tür und steigt in den Wagen, der von dannen fährt.
Mit dieser völlig unspektakulären Sequenz beginnt der Film. Aber natürlich steckt die Brisanz eben gerade in der beiläufigen Routine des Vorgangs. Ein Verbrechen wurde verübt. Der Täter wurde geschnappt. Man lässt ihn laufen. War was? Nichts war.
25 Jahre später. Bei der Tageszeitung „The Boston Globe“ tritt der neue Chefredakteur Marty Baron seinen Job an. Das Blatt leistet sich ein fünfköpfiges Reporterteam namens „Spotlight“, das auf explosive Themen angesetzt wird. Der neue Boss hat einen neuen Auftrag für die Truppe: Sie soll herausfinden, was dran ist an Gerüchten über verbreiteten sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche. Bis dato weiß man nur von seltenen Einzelfällen.
Die Recherchen erweisen sich als äußerst mühsam. Doch am Ende umfasst die Liste von
Priestern des Erzbistums Boston, die sich an Minderjährigen vergangen haben, 87 Namen. Eine erschreckende Zahl, eine sensationelle Story. Doch Chefredakteur Baron ist noch nicht zufrieden. „Zeigt mir das System!“, verlangt er von seinen Reportern. Will sagen: Hat die Kirche dafür gesorgt, dass die Täter straflos davonkommen konnten?
Großartige Schauspieler und ein geniales Drehbuch
Nun weiß jeder halbwegs informierte Kinobesucher, wie die Sache ausgeht, denn „Spotlight“ zeichnet reale Ereignisse nach. Tatsächlich haben Reporter des „Boston Globe“ 2002 den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten ins Rollen gebracht. Überraschen kann einen der Film daher nicht.
Aber überzeugen und packen. Vor allem dank einer großartigen Schauspielerriege und des genialen Drehbuchs. Da muss äußerlich gar nicht viel passieren. Gut, einmal wird einer der fünf Reporter wütend und laut. Aber ansonsten wird recherchiert, konferiert, interviewt, telefoniert, auch mal Golf gespielt.
Und doch wird alles Wesentliche herausgearbeitet. Dass und warum viele Opfer (lange) schwiegen. Dass die Kirche Täter „aus gesundheitlichen Gründen“ in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen pflegte. Dass Behörden – siehe Eingangssequenz – gezielt wegschauten. Dass Anwälte passiv blieben. Dass Journalisten – inklusive die des „Boston Globe“ – das Thema über viele Jahre beschämend ignorierten.
Was nichts daran ändert, dass die Reporter die Helden dieses Films sind. Aber das finden nicht nur Journalisten gut, wie die sechs „Oscar“-Nominierungen für „Spotlight“ belegen. Sicher, bei der Verleihung der Trophäen dürfte „The Revenent“ mit Leonardo DiCaprio weit erfolgreicher abschneiden. Hollywood honoriert Schauwerte, Action, Aufwand. Eben den ganzen Zinnober, den „Spotlight“ nicht nötig hat, weil: Weniger ist manchmal mehr.
Spotlight. USA 2015. Regie: Tom McCarthy. Mit Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Liev Schreiber, John Slattery, Brian d’Arcy James, Stanley Tucci. 128 Minuten. Start: 25. Februar