16.11.2016
Themenwoche "Mein Gott"
Glauben wir an den gleichen Gott?
Es ist eine Stammtischparole: „Ach, wir glauben ja doch alle an den gleichen Gott. Da sind die kleinen Unterschiede doch nebensächlich.“ Das Problem: Der erste Satz der Parole stimmt. Der zweite nicht.
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Christen, Juden, Muslime - beten wir alle an den gleichen Gott? Fotos: KNA |
Die erste Antwort auf die Frage „Glauben wir alle an den gleichen Gott?“ ist ebenso banal wie einsichtig. Ja, wir glauben alle an den gleichen Gott – weil es nur einen gibt. „Wenn Gott lediglich ‚unser Gott‘ wäre“, schreibt der bekannte tschechische Soziologe und Priester Tomas Halik, „wäre er ein Stammesgott mit einer begrenzten Kompetenz und nicht der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Herr der ganzen Welt, der sichtbaren und der unsichtbaren.“ Dass er das aber ist, bekennen alle drei Religionen, um die es hier geht: Judentum, Christentum und Islam.
Christen und Juden
Ein Stammesgott, der in Konkurrenz zu den Göttern der Nachbarländer stand, so wurde der Gott Israels zunächst gesehen – viele Stellen im Alten Testament machen das deutlich. Das erste Gebot „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Exodus 20,2-3) zeigt das beispielhaft. Vor allem in der Zeit des babylonischen Exils (ab 587 v. Chr.) setzte sich dann die Auffassung durch, dass diese Alleinstellung für alle Völker gilt. „So spricht der Herr: Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott“ (Jes 44,6). Gott wird zum universalen Gott für alle Völker, zum Schöpfer und Herrn der ganzen Welt. Dieser Gott war der Gott Jesu. Barmherzigkeit, Nächstenliebe, die Anrede „Vater“ sind im jüdischen Gottesbild fest verankert.
Weil dieser Gott der Gott Jesu war, ist er auch der „Gott der Christen“. So hat etwa Papst Johannes Paul II. von den Juden als „unseren älteren Brüdern“ gesprochen und vom „niemals gekündigten Bund“ Gottes mit seinem Volk Israel. Und in einer lutherischen Erklärung aus dem Jahr 1999 heißt es: „Deshalb steht das Judentum in einer besonderen Verbindung zu seinem Gott, den wir auch als unseren Gott bekennen.“
Sehen die Juden das auch so? Klar ist: Für sie ist es schwieriger. Denn der Vorwurf, die Christen hätten aus dem einen Gott drei Götter gemacht, wiegt schwer. Jesus kann für Juden „Bruder“ (Schalom Ben-Chorin) oder „ein großer jüdischer Rabbi“ (Pinchas und Ruth Lapide) sein, aber nicht „Messias“ oder „Sohn Gottes“. „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns“, schreibt Schalom Ben-Chorin. Trotz dieser grundlegend anderen Sicht formuliert aber etwa die Erklärung „Dabru Emet“ („Redet Wahrheit“) jüdischer Theologen aus dem Jahr 2000 ganz eindeutig: „Juden und Christen beten den gleichen Gott an.“
Christen und Muslime
Schöpfer, Barmherziger, Allmächtiger, Richter – so beschreiben auch Muslime Gott. „Allah“ ist nicht sein spezieller Eigenname, „al-ilah“ – „der Gott“ oder „die Gottheit“ – ist schlicht der Begriff, den auch Arabisch sprechende Christen und Juden übernommen haben. Auch wenn Muslime die gleichen Probleme mit der christlichen Trinität haben wie Juden: Dass wir an den gleichen Gott glauben, bestreiten sie nicht. Im Koran heißt es im Hinblick auf die Christen: „Wir glauben an das, was zu uns und was zu euch herabgesandt worden ist. Unser Gott und eurer ist einer. Wir sind IHM ergeben“ (Sure 29,46).
Diese „Theorie“ ändert nichts daran, dass Christen und Muslime sich lange gegenseitig als „Gottlose“ betrachtet haben. Von lehramtlicher Seite änderte sich dies im Zweiten Vatikanischen Konzil. In der Konstitution über die Kirche heißt es: „Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die ... mit und den einen Gott anbeten ...“ (Lumen Gentium 16). Papst Johannes Paul II. hat diese und ähnliche Konzilsaussagen immer wieder zitiert und weitergeführt. So sagte er etwa 1985 bei der Eröffnung eines katholisch-muslimischen Symposiums in Rom: „Euer und unser Gott ist ein und derselbe.“
Gleich und nicht gleich
Wir glauben alle an den gleichen Gott. Aber wir glauben nicht alle gleich an Gott. Juden und Christen glauben beispielsweise an den Gott, der mitleiden kann. Das ist eine Stärke der Christen, die Gott im leidenden Gekreuzigten sehen. Für manche Juden war das Mitleiden Gottes ein Weg, die Katastrophe der Schoah als Glaubende zu ertragen. Für Muslime dagegen steht die Allmacht Gottes im Vordergrund, nicht die Ohnmacht. Ein leidender Gott ist undenkbar.
Es gibt diese Unterschiede aber nicht nur zwischen den Religionen – es gibt sie auch zwischen den Gläubigen der einzelnen Religionen. Orthodoxe Juden sehen in Gott einen, der etwa auf die Einhaltung sehr strikter Ernährungs- oder Sabbatregeln achtet – liberale Juden sehen das anders. Muslimische Extremisten glauben, dass Gott sie mit offenen Armen empfängt, wenn sie „Ungläubige“ in Seinem Namen ermorden – die große Mehrheit der Muslime glaubt das nicht. Manche Christen glauben, dass Gott Homosexuelle in die Hölle schickt, andere meinen, dass die Hölle eher leer ist – falls es sie überhaupt gibt. Und wieder andere meinen, dass man über Gottes Eigenschaften überhaupt wenig sagen kann, weil er der stets Andere, Größere, alles Umfassende ist; dass das Geheimnis Gottes stets größer ist als unsere Erkenntnis über ihn.
Alles gleich wertig?
Ist dann im Letzten doch alles egal, alles gleich wertig? „Jede Religion wird bei der Bewertung der anderen Religion stets vom eigenen Bekenntnis ausgehen“, schreibt der Religionswissenschaftler und Theologe Andreas Renz in seinem Buch „Beten wir alle zum gleichen Gott?“. So ist es für die katholische Kirche Glaubensaussage, dass das Heil in Jesus Christus und nur in Jesus Christus liegt. „Es gibt nach katholischem Verständnis kein Nebeneinander von gleichwertigen Heilswegen, vielmehr werden die Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche in die Heilsordnung des dreieinen Gottes einbezogen.“
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Renz, Lehrbeauftragter im Fach katholische Theologie der Universität München und Referent für interreligiösen Dialog im Erzbistum München und Freising, ist deshalb gegen jede Naivität etwa im Feld des interreligiösen Gebets. „Christen beten durch Christus im Heiligen Geist“, sagt er. Dafür dürfe man Juden und Muslime nicht vereinnahmen. Dass Vertreter der verschiedenen Religionen nebeneinander auf je ihre Weise zu dem einen Gott beten, hält er dagegen für wichtig. „Hinter die Tradition der Friedensgebete der Weltreligionen in Assisi können wir nicht mehr zurück“, sagt er. „So erfahren Juden, Christen und Muslime, die nebeneinander beten, doch eine Gemeinschaft, die ihr Verhältnis und ihr Vertrauen zueinander vertieft. Sie erfahren sich gemeinsam ... als Geschwister vor Gott, der stets größer ist als all unser Verstehen und Gestammel.“
Von Susanne Haverkamp