14.11.2016
Themenwoche "Mein Gott": Moderne Gottsucher
Gott, wo bist du? Teil 1
Ein Porträt eines Gottsuchers - und Auszüge aus dem neuen Buch "Letzte Gespräch" über Benedikt XVI.
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"Es war unglaublich hart, das Schicksal in Gottes Hände zu geben.
Aber danach fühlte ich mich leichter"
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Ralf Schiefer Foto: Winkler/Richmann |
Behutsam öffnet Ralf Schiefer die riesige Tür zur Herz-Jesu-Kirche in der Leverkusener Innenstadt. „Na dann kommen Sie mal rein!“ Im Inneren der Kirche, die an eine Werkhalle erinnert, ist es angenehm kühl. Die drückende Sommerhitze und der Lärm der umliegenden Geschäfte verschwinden, als er die Tür wieder schließt. Er taucht seine Hand in die Schale mit dem Weihwasser und bekreuzigt sich. Dann kniet er vor dem Altar. Es dauert eine Weile, bis er wieder aufsteht. Dann schaut er auf die Monstranz mit dem Leib Christi: „Hier ist Gott gegenwärtig“, flüstert Schiefer. „Da ist er greifbar, fühlbar, riechbar, schmeckbar.“
Die Kirche gehört zu Schiefers Leben. Der 58-Jährige ist kein Priester. Diakon wollte er auch nicht werden – aber er ministriert bei der Messe. Und er betreibt das Kirchencafé, mit dem die Gemeinde sich öffnen möchte, „ohne gleich mit der geballten Autorität der Amtskirche daherzukommen“. Aber es sei nicht leicht, Gott im Alltag Raum zu geben. Darum genießt Schiefer die wertvollen Momente, in denen es klappt. Einmal stapfte ein Mann in das Café: „Können Sie mit mir beten?“ Die direkte Ansprache empfand Schiefer damals eher befremdlich – dann ließ er sich trotzdem darauf ein. In dem Gebet erzählte der Mann, wie nutzlos er sich ohne Arbeit gefühlt hatte. Nun habe er wieder einen Job – und dafür wolle er Danke sagen. Während Schiefer erzählt, bekommt er glänzende Augen. Diese Freude habe ihn umgehauen: „In solchen Momenten ist Gott ganz nah.“
Anders als damals, als Schiefer auf diesem Krankenhausflur saß und flehte, Gott möge seine Mutter nicht sterben lassen – noch nicht. Aber Gott half nicht. Die Schläuche, das Piepen, die Ärzte, die immer nur schlechte und noch schlechtere Nachrichten hatten – das alles ließ Schiefer verzweifeln. „Mit Anfang 20 habe ich meinen Vater verloren; danach hatte ich nächtelang Albträume. Ich wollte das nicht noch einmal durchleben.“ Hinter all dem Krach konnte er Gott nicht mehr hören. Er zwang sich geradezu, trotzdem zu beten. Da erinnerte er sich an eine Lektion, die er schon einmal gelernt, vor lauter Angst jedoch wieder vergessen hatte: „Ich wollte meinen Willen durchsetzen. Es war wieder ich, ich, ich.“ Was seine Mutter dachte und fühlte, hatte er ausgeblendet. „Es war unglaublich hart, das Schicksal in Gottes Hände zu geben. Aber danach fühlte ich mich leichter.“ Manchmal begegnet Gott einem auch auf dem Krankenhausflur.
Text und Video von Sabine Winkler und Michael Richmann
Ralf_Schiefer from Andrea Kolhoff Kirchenbote on Vimeo.
"Gott ist nicht in einem Irgendwo, sondern er ist die Realität"
Auszüge von Benedikt XVI. aus dem Buch "Letzte Gespräche" von Peter Seewald
Die Frage, die uns immer wieder neu beschäftigt: Wo ist dieser Gott eigentlich, von dem wir sprechen, von dem wir uns Hilfe erhoffen? Wie und wo kann man ihn verorten? Wir sehen jetzt immer weiter in das Universum hinaus, mit den Milliarden von Planeten, den zahllosen Sonnensystemen, aber wo wir bislang auch hinschauen können – nirgendwo ist so etwas, was man sich als Himmel vorstellen könnte, in dem Gott angeblich thront.
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Der emeritierte Papst Benedikt XVI. Foto: kna-bild |
(Lacht.) Ja, weil es so was nicht gibt, einen Ort, wo er thront. Gott selber ist der Ort über allen Orten. Wenn Sie in die Welt hineinschauen, sehen Sie keinen Himmel, aber Sie sehen überall die Spuren Gottes. Im Aufbau der Materie, in der ganzen Rationalität der Wirklichkeit. Und auch, wo Sie Menschen sehen, finden Sie die Spuren Gottes. Sie sehen das Laster, sehen aber auch die Güte, die Liebe. (...)
Das ist wirklich wichtig, dass wir in vielem unser Denken erneuern, diese räumlichen Dinge ganz wegschaffen und neu kapieren. So wie es auch unter Menschen die seelische Präsenz gibt – es können sich zwei Menschen über Kontinente hin berühren, weil dies eine Dimension ist, die anders ist als die räumliche –, so ist Gott nicht in einem Irgendwo, sondern er ist die Realität. Die Realität, die alle Realität trägt. Und für diese Realität brauche ich kein „Wo“. Weil „Wo“ bereits eine Eingrenzung ist, schon nicht mehr der Unendliche, der Schöpfer ist, der das All ist, der alle Zeit überspannt und nicht selber Zeit ist, sondern sie schafft und immer gegenwärtig ist.
Ich glaube, da muss man vieles verändern. Wie sich eben auch unser ganzes Menschenbild verändert hat. Wir haben nicht mehr 6000 Jahre Geschichte [wie es in der biblischen Zeitrechnung als Bild angegeben ist] sondern, ich weiß nicht um wie viel mehr. Lassen wir mal diese hypothetischen Zahlen offen. Jedenfalls stellt sich mit diesem Wissen die Struktur der Zeit, die von Geschichte, heute anders dar. Hier muss zuallererst die Theologie noch gründlicher zu Werke gehen und den Menschen wieder Vorstellungsmöglichkeiten liefern. Da hat die Übersetzung von Theologie und Glaube in die Sprache von heute noch gewaltige Defizite; dass man Vorstellungsschemata schafft, dass man den Menschen hilft, heute zu verstehen, Gott nicht in einem Irgendwo zu suchen. Da ist viel zu tun.
Ist Gott dann doch irgendwie ein Geist, eine Energie? Christlicher Glaube spricht hingegen von einem personalen Gott.
Eben. Gerade dass er Person ist, bedeutet, dass er nicht in einem Irgendwo umschreibbar ist. An uns Menschen ist die Person auch das, was den bloßen Raum überschreitet und mir die Unendlichkeit öffnet. Dass ich woanders sein kann und hier zugleich. Dass ich nicht nur da bin, wo mein Körper gerade ist, sondern dass ich in eine Weite lebe. Und gerade deshalb, weil er Person ist, kann ich ihn nicht auf eine physische Örtlichkeit fixieren – weil die Person eben das Umfassendere, das andere ist, größer ist.
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Sie machen sich keine Vorstellung von Gott?
Nein.
Wie die Juden?
Ja. Gut, insofern natürlich schon, dass Gott in Jesus Christus da ist, in einem Menschen da ist.
„Wer mich sieht, sieht den Vater“?
Ja. Hier ist er dann wirklich abbildbar.