24.08.2016

Sommerserie macht Station beim Märchenspiel im Galli-Theater

Hinschauen – atmen – tun

Märchen mit allen Sinnen entdecken: Diesen Sommer führt die Kirchenzeitung Sie an zauberhafte Orte. Sie können die Märchen und Sagen beim Zeitungslesen auf dem Sofa genießen und Ideen für Ausflüge im Sommer bekommen. In dieser woche besucht Maria Weißenberger das Märchenspiel im Galli-Theater in Wiesbaden.

Logo der Sommerserie in der Kirchenzeitung

Kein Vorhang. Jedenfalls nicht vor der Bühne im Wiesbadener Galli-Theater. Unverhüllt ist sie. Viel zu verhüllen ist da auch nicht. Die Bühne ist leer. An der Rückwand Stoffbahnen in leuchtenden Farben. Rot, orange und gelb, grün und blau ... In der Mitte, wo sie sich wie ein Fenster öffnen, ein Bild von einem Schloss: Hoch und schlank hebt es sich vor dem blauen Himmel ab, dem wenige weiße Wolken nichts von seiner Schönwetter-Stimmung nehmen. Vögel schwirren durch die Luft. Hoch hinauf ragen Türme und Türmchen, deren Dächer sich wie rote Zipfelmützchen ausnehmen. Ein Prachtbau.

Anders das Galli-Theater: Kein Prunk, kein Protz, nichts weithin Erkennbares. Zwischen den Wohnhäusern in der Adelheidstraße will es ent-deckt werden. Im Vorderhaus das Theatercafé. Und das Theater? Da – durch den Hofeingang. Ein paar ausgetretene Stufen hoch, die schwere Tür öffnen. Dann Treppensteigen in den zweiten Stock. Mit jeder Stufe kann die Spannung wachsen.

Noch zehn Minuten bis zur Vorstellung. Die Fenster sind weit geöffnet an dem Sommersonntagvormittag. Rein mit der frischen Luft. Die angestaute Wärme kann sie vertreiben – die Theaterluft bleibt. Theaterluft schnuppern – das hat gar nicht so viel mit der Nase zu tun. Es ist der Hauch des Besonderen, der in der Luft liegt, die Vorfreude und Erwartung der Menschen. Das kribbelige Gefühl, wenn sämtliche Sinne auf erhöhte Aufmerksamkeit schalten.

Den Kindern, die mit Mamas und Papas, Omas oder Tanten gekommen sind, merkt man’s an. Sie können ihre Unruhe schlecht verbergen. Heute haben sie klar Vorrang: Freie Platzwahl – aber bitte in den vorderen Reihen freilassen für die Kinder. Da stehen sogar extra kleine Stühle.

Vornehmer König mit wallenden Locken
Kein dreimaliges Klingeln. Kein Vorhang da, der sich heben könnte. Trotzdem sofort erwartungsvolle Stille, als Heidrun Ohnesorge vom Galli-Team das Publikum begrüßt. Alle Augen richten sich nach vorn, alle Ohren sind gespitzt, als der König (Sigrun Stiehl) auf die Bühne kommt. Ein vornehmer Herr – mit wallenden Locken und riesigem Schnurrbart, mit rotem Mantel und goldener Krone. Und ganz stolzer Vater, der von seiner Tochter (Heidi Hinrichs) erzählt, ehe sie ihren großen Auftritt hat:  Jung, schlank, makellos schön ist sie anzuschauen in ihrem hauchzarten, mit Glitzer besetzten Kleid. Eitel und ein wenig hochnäsig kommt sie rüber. Scheinbar erwachsen und immer noch das verwöhnte Kind, das sich am Schlossbrunnen mit seiner kostbaren goldenen Kugel vergnügt.

Der Brunnen – der hat überhaupt den allergrößten Auftritt in dieser Szene. Kommt mir nix, dir nix, auf die Bühne gelaufen – obwohl doch Brunnen eigentlich keine Füße haben. Dumm nur, dass die Prinzessin nicht aufpasst und ihre goldene Kugel – schwupp – in den Brunnen plumpst. Wie soll sie das nur dem Papa beibringen?

Aber vielleicht muss der gar nichts davon erfahren. Der grüne Geselle, der aus der Tiefe des Brunnens auftaucht, will ihr die Kugel heraufholen. So hässlich und glitschig wie oft geschildert sieht der Frosch (Oliver Born) gar nicht aus. Eher ulkig wirkt der Typ, der sich „Froggy“ nennt und die junge Dame schnoddrig als „Princy“ anspricht. Gewählt ausdrücken kann der sich nicht. Frech ist er obendrein. Einfach so die Kugel wieder zu beschaffen – von wegen. Im Schloss will er wohnen, von Princys Tellerchen essen und aus ihrem Becherchen trinken. Ja, sogar in ihrem Bettchen schlafen. Aber wenn sie ohne die Kugel heimkommt, gibt’s Ärger mit Papa. Also verspricht sie dem ungehobelten Kerl, was er verlangt – sie wird ihn schon abschütteln.

Versprochen ist versprochen – das weiß jedes Kind
Aber da hat sie die Rechnung ohne Froggy gemacht. Der bleibt ihr auf den Fersen. Verlangt, dass sie ihr Versprechen hält. Klar, dass der seltsame Gast dem König nicht verborgen bleibt. Der erinnert sein Töchterlein an den Grundsatz, den alle Kinder kennen: „Versprochen ist versprochen – und wird nicht gebrochen“, stimmen sie dem König zu, als er sie in seine Überlegungen einbezieht. Denn im Galli-Theater gucken Kinder nicht nur zu. König, Froggy, Princy – alle drei sprechen mit ihrem jungen Publikum, reagieren spontan auf Zwischenrufe, fragen die Kinder nach ihrer Meinung.

„Hinschaun – atmen – tun“: Die drei Schritte zur Überwindung der Angst, die der König seiner Tochter von Anfang an vermittelt, haben die kleinen Zuschauer schnell verinnerlicht. „Hinschaun – atmen – tun“: Rhythmisch klingt es in einem der Songs, die der Aufführung Pep verleihen.

Hinschaun – atmen – tun: Princy muss die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt hat. Der aufdringliche Froggy darf mit den Majestäten zu Tisch sitzen. Tischmanieren hat er nicht: Er langt mit den Fingern ins Essen, beschmiert sich das Gesicht, schlürft und schmatzt ungeniert. Igitt, igitt! Die Kinder finden’s amüsant; der König versteht Haltung zu bewahren. Princy verzieht angewidert das hübsche Gesicht. Mit diesem Ekelpaket ins Bett? Nicht mit ihr! Jetzt hat sie genug – sie nimmt all ihre Kraft zusammen und schmeißt den Kerl an die Wand.

Und weil im Märchen am Ende immer alles gut wird, verwandelt der sich – und sie erkennt den edlen Prinzen, der in ihm steckt. In einem romantischen Duett erklären sie einander ihre Liebe.
Und in die ausklingende Musik spricht eine Stimme: „Im Leben eines jeden Mannes kommt der Moment, da ihn eine Frau an die Wand wirft. Und dann stellt es sich heraus, ob er ein Prinz wird oder ein Frosch bleibt ... Quak!“