16.11.2016

Themenwoche "Mein Gott"

"Ich war weg vom Glauben"

Verloren und wiedergefunden: Andrea Schwarz hatte ihren Glauben verloren. Heute ist sie eine gefragte Autorin geistlicher Texte und leitet Seminare. 

Andrea Schwarz lebt im Emsland. 
Foto: Matthias Petersen

Ein alter Mann mit Rauschebart, der auf einem Thron sitzt – wie viele andere Kinder auch stellt sich Andrea Schwarz Gott so vor, als sie klein ist. Ein Gott, der alles sieht, selbst wenn man im Keller steht und in der Nase bohrt, der straft, der eines Tages Gericht halten wird. Ihre Eltern nehmen sie mit zur Kirche, aber was sie da hört, ist für sie nicht überzeugend. Auch nicht das, was ihr im Religionsunterricht beigebracht wird. Denn zugleich lernt sie in den Naturwissenschaften, wie die Welt wirklich entstanden ist. Das bringt sie mit der Schöpfungsgeschichte nicht in Einklang, „und niemand hat mir erklärt, wie das zu verstehen ist. Mit 14 oder 15 Jahren war ich weg vom Glauben“, sagt sie.

Heute ist Andrea Schwarz Autorin spiritueller Bücher. Was sie veröffentlicht, wird gekauft. Wenn sie Exerzitien anbietet, sind alle Plätze belegt. Kündigt sie sich für einen Vortrag an, stehen die Leute Schlange. Ohne lebendige Gottesbeziehung wäre das nicht möglich. Glaubt sie immer noch an den Mann mit Bart, der alles sieht?

Leere kann manchmal notwendig sein, um etwas Neues zu beginnen. Andrea Schwarz war weg vom Glauben, in ihr war keine Vorstellung mehr von Gott, kein Bild von ihm. Vielleicht ist es dieser Zustand, der ihr einen neuen Beginn ermöglicht. Mit Anfang 20 lernt sie einen Kaplan kennen. Sie ist begeistert von ihm und seinem Glauben. Er setzt sich mit Jugendlichen zusammen, hält ihre Fragen aus, beschäftigt sich mit ihren Zweifeln. Entscheidend sind für Andrea Schwarz in dieser Zeit Exerzitien an den Kar- und Ostertagen, die sich mit einem Wort aus dem Lukasevangelium beschäftigen. Als sie liest, dass Jesus gekommen ist, damit er „den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht“, da merkt sie, dass sie selbst gefangen ist und blind, „da wusste ich, dass ich damit gemeint bin“.

 

Die Sicherheit ist im Laufe der Jahre gewachsen

Ein Gott, der die Menschen liebt, der will, dass ihr Leben gelingt, dass sie es in Fülle genießen können? Die Sicherheit, mit der Andrea Schwarz heute diese Frage positiv beantwortet, ist im Laufe der Jahre gewachsen. Die Gewissheit, Gott an ihrer Seite zu haben, bestätigt sich mit jeder Wendung in ihrem Leben, auch mit jedem Scheitern. Neunmal zieht sie um, sie wechselt den Beruf, die Aufgabe, doch immer weiß sie Gott dabei an ihrer Seite – auch jetzt in Steinbild im Emsland, wo sie 2012 in ein leerstehendes Pfarrhaus gezogen ist und neben vielen anderen Aufgaben auch als Seelsorgerin tätig ist. Sie zitiert Richard Rohr, den amerikanischen Theologen, der mal gesagt hat, wenn man sich nur lang genug mit Gott beschäftige, „dann färbt der Typ irgendwie ab“. Sie mag es, ihre Botschaft in einer Sprache an die Menschen zu bringen, die allgemein verständlich ist.

Und wie sieht dieser Gott heute für sie aus? Ist es immer noch der Mann mit Bart? „Dieser Gott hat kein Gesicht“, sagt sie nüchtern. Er zeige sich in Jesus Christus, der am Kreuz hängt, er zeige sich in den Menschen, denen wir begegnen. Und was steht ihr vor Augen, wenn sie anfängt zu beten? Fast entschuldigend klingen ihre Worte: „Sorry, aber ich sehe da nichts.“ Dabei pflegt sie aber intensiv den Austausch mit ihm: „Ich bekomme den Hinweis, dass ein Freund an Krebs erkrankt ist und schicke eine Nachricht an Gott oder zünde eine Kerze an. Ich stehe vor einem Beratungsgespräch vor einer Haustür und denke, bevor ich die Klingel drücke: Gott sei mit dabei.“ Ein Danke am Morgen, lebendig erwacht zu sein, am Abend ein Danke für den gelebten Tag. Glaube sei vom Alltag nicht zu trennen, er sei integriert. Das betont sie immer wieder und wirkt dabei fast ein wenig ungeduldig.

 

"Niemand hindert uns daran, unser Gottesbild zu verändern"

Vor ein paar Wochen ist Andrea Schwarz 60 Jahre alt geworden. Sie merkt, dass ihr Körper langsamer geworden ist, dass sie an manchen Tagen nicht mehr so fit ist wie früher. Sie findet so etwas nicht schlimm. Schon früher, als sie mal auf dem Jakobsweg unterwegs war und ihre Gelenke nach einer Auszeit verlangten, hat sie gemerkt, dass Helfer nicht heilen können, wenn sie nicht um ihre eigenen Verwundungen wissen. Das lässt sich auch auf den Glauben übertragen: Wer nicht schon einmal erlebt hat, dass Glaubensleben auch mühsam sein kann, der kann diese scheinbare Gottesferne nicht als etwas Positives vermitteln.

Und so hat sich der Gott, den Andrea Schwarz anruft, im Laufe der Zeit auch gewandelt. „Niemand hindert uns daran, unser Gottesbild zu verändern, ja, wir sind viel mehr in der Pflicht, uns darum zu kümmern!“ Ihr Gottesbild, sagt sie, zeige viel über sie selbst: „In manchen Situationen brauche ich einen befreienden Gott, manchmal den mütterlich schützenden, manchmal den, der mich in die Weite führt.“ Das alles hat nichts mehr gemein mit dem strafenden Gott, der kleinlich aufrechnet, ob die Menschen auch wirklich gut sind. „Wenn wir das glauben, machen wir Gott klein, aber er ist doch größer als wir. Und an einen kleinen Gott mag ich nicht glauben.“ 

Von Matthias Petersen

Gottesbild: Andrea Schwarz from Andrea Kolhoff Kirchenbote on Vimeo.