10.02.2016
Thema: Die Flüchtlinge und die Kirche
Lobbying für Menschen
Wie begründet die Kirche ihr großes Engagement für die Flüchtlinge? Und was tun Pfarrgemeinden, Orden und Bistümer konkret? Annegret Huchler, Joanna Worytko und Franz Meyer sind die Beauftragten der „Willkommenskultur für Flüchtlinge“ in den Bistümern Limburg, Mainz und Fulda. Beim Redaktionsgespräch geben sie Antworten.
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Spannender Austausch beim Redaktionsgespräch im Frankfurter Haus am Dom mit Joanna Worytko, Franz Meyer und Annegret Huchler (von links) – moderiert von Ruth Lehnen, Johannes Becher und Sara Mierzwa (rechts). |
Hat sich die Willkommenskultur nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln in den
Gemeinden verändert?
Meyer: Ich erlebe, dass die Stimmung nachdenklicher geworden ist. Es gibt mehr kritische Nachfragen von den Menschen und den Wunsch nach Ehrlichkeit von Seiten der Politik. Dass man die Dinge beim Namen nennt und nicht aus Gründen der „political correctness“ hinterm Berg hält. Aber bei den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in der Flüchtlingsarbeit hat sich da nichts verändert.
Huchler: In Limburg war die Bürgerwehr kurz ein Thema. Die Ehrenamtlichen sind davon unbeeindruckt und nach wie vor sehr offen. Gleichzeitig fordern die Menschen einen differenzierteren Blick auf die Situation und Aufklärung der Vorkommnisse. Schwierig ist aber, dass nun alles diskutiert wird auf dem Hintergrund der Ereignisse von Köln. Klar, eine Aufklärung muss sein. Auf der anderen Seite muss man sehen, das der Großteil der Flüchtlinge, die hierher kommen, nicht dort beteiligt waren.
Worytko: Ich persönlich hatte Sorgen, wie es nach Köln in der Flüchtlingsarbeit weiter geht. Das ehrenamtliche Engagement hat aber nicht nachgelassen im Bistum, sondern wurde noch stärker. Manchmal erreichen mich E-Mails mit Kritik, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Ändert sich die Arbeit der Flüchtlingsbeauftragten, gibt es andere kirchenpolitische Akzente?
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Franz Meyer ist Koordinator für die Flüchtlingsarbeit bei Caritas und Bistum in Fulda. Seine erste Maßnahme: Er hat alle „katholischen Akteure“ in der Flüchtlingsarbeit einmal an einen Tisch gebracht. „Nicht jeder muss alles machen“, sagt Meyer. |
Meyer: Es braucht kirchenpolitisch keine Änderung der Leitlinien. Ich stelle mir allerdings seit einiger Zeit die Frage, ob die Politik das Geschäft noch im Griff hat. Jeden Tag ging eine Zahl durch die Medien. Da habe ich die Politik orientierungslos erlebt. Das hat eine starke Verunsicherung bei den Menschen ausgelöst. Jetzt muss die Politik nachjustieren und der Bevölkerung das Gefühl geben: Wir haben das im Griff. Wenn die Verunsicherung weiterginge, würde das auch unser Geschäft erschweren. Denn dann würden wir vielleicht nur als die „guten Menschen“ gesehen, die man nicht mehr ernst nimmt.
Gibt es denn nicht schon heute eine Kluft zwischen den Leitlinien der Kirche für die Flüchtlingsarbeit und dem Denken vieler Menschen in Gemeinden? Kurz: Angst vor den Fremden?
Meyer: Schon bevor die eine Million Flüchtlinge zu uns herkamen, wusste man aus vielen Befragungen, dass die Quote der Menschen mit fremdenfeindlichem Denken durchschnittlich bei 15 bis 20 Prozent in der Gesamtbevölkerung liegt. Da sind die Katholiken bestimmt keine Ausnahme. Das kann einen schon erschüttern.
Huchler: Wir wollen die Willkommenskultur weiter stärken.
Brauchen wir nun neue Ziele in der Flüchtlingsarbeit, oder bleibt alles beim Alten?
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Joanna Worytko ist Flüchtlings- beauftragte im Bistum Mainz. In einer seit Dezember neu eingerichteten Stabsstelle im Bischöflichen Ordinariat verantwortet sie auch die strategische Ausrichtung der Arbeit. |
Worytko: Das Problem entsteht, wenn die Flüchtlinge nur noch als Masse erlebt werden. Durch persönlichen Kontakt ändert sich das, und Angst wird abgebaut. Deshalb werden wir weiterhin Begegnungen initiieren. Obwohl manchmal auch Stereotype dadurch bestätigt werden. Besonders wichtig ist ein Zusammenleben mit den Flüchtlingen über einen längeren Zeitraum: Vorurteile relativieren sich.
Meyer: Die Menschen müssen ernst genommen werden. Bei Gesprächen vor dem Eröffnen von Flüchtlingsheimen werden die Ängste der Bevölkerung oft deutlich. Die Begegnung lässt die Angst schwinden.
Huchler: Es ist wichtig, die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in Kursen gut auszubilden. Das Thema Frauenbild in den Herkunftsländern und kultureller Hintergrund der Flüchtlinge ist nicht neu. Das war bei uns schon länger auf dem Schirm.
Wie sieht die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit vor Ort in den Gemeinden aus?
Huchler: Die meisten organisieren sich sehr selbstständig in lokalen Gruppen, die meistens ökumenisch sind, und freuen sich über Unterstützung von uns und der Kirche. Wir haben viel Lob bekommen, auch von kirchenfernen Menschen. Es gibt viele Begegnungscafés in den Gemeinden.
Meyer: Die Begegnungen können ganz unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel haben im Herbst Flüchtlinge einem Bauern bei der Apfelernte geholfen. Auch Sportvereine sind wichtige Integrationsorte. Einfache Projekte funktionieren meistens gut.
Worytko: Es wurden viele Flüchtlinge in Klöstern und Pfarrhäusern im Bistum aufgenommen.
In der Öffentlichkeit hört man wenig von dem vielen Engagement in den Gemeinden. Ist die Kampagnenfähigkeit der Kirche zu schwach?
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Annegret Huchler ist „Beauftragte in der Willkommenskultur für Flüchtlinge“ im Bistum Limburg. Sie weiß bistumsweit von 170 Gruppen, die sich engagieren. Und rechnet mit 30 weiteren, die sie noch nicht kennt. |
Huchler: Die negative Berichterstattung in den Medien macht es schwierig, gute Nachrichten zu verbreiten. Außerdem werden Caritas und katholische Kirche oft nicht zusammen gesehen.
Meyer: Ja, das stimmt. Caritas wird oft positiver von der Bevölkerung wahrgenommen als die katholische Kirche. Wir müssten uns in Bürgerrunden mehr einmischen und aktiv in die Öffentlichkeit mit unserer Botschaft gehen – über die Pfarrgemeinden hinaus.
Werden Unterschiede bei der Begleitung zwischen Christen und Nicht-Christen gemacht?
Meyer: Wir machen gundsätzlich keinen Unterschied bei der Aufnahme in Wohnungen aufgrund der Religion der Menschen. Wenn sie aber eine religiöse Heimat suchen oder eine seelsorgliche Betreuung, dann sind uns natürlich Christen näher.
In diesem Zusammenhang sehen wir nochmal eine besondere Aufgabe in den Pfarrgemeinden. Wir möchten das gerne verknüpfen: den Ort, wo die Flüchtlinge wohnen können und ihren spirituellen Platz.
Bisher haben wir keine Strategie für einen interreligiösen Dialog, aber die wird noch kommen. In den Pfarrgemeinden findet aber auch heute schon ohne organisatorischen Aufwand ein solcher Dialog statt.
Huchler: Der religiöse Hintergrund ist erst einmal zweitrangig. Natürlich gibt es auch Gemeinden, die gerne Menschen mit einem christlichen Hintergrund aufnehmen möchten. Dann gibt es Gespräche mit den Kommunen. Meistens klappt das auch.
Und bei den Limburger Domsingknaben können zum Beispiel keine Muslime mitsingen.
Worytko: Grundsätzlich zählt jeder Mensch für uns – unabhängig von seiner Religion. Es gibt punktuell den Wunsch, dass eine Pfarrgemeinde, die eine Wohnung zur Verfügung stellt, fragt, ob es möglich ist, christliche Flüchtlinge zu bekommen. Das ist allerdings nie eine Bedingung.
In den Klostergemeinschaften haben wir sogar überwiegend Menschen mit einem anderen Religionshintergrund. Wir erleben es dort aber auch, dass Gäste den Wunsch äußern, christlich getauft zu werden.
Die katholischen Schulen im Bistum Mainz sollen jetzt auch für nicht getaufte Menschen geöffnet werden.
Was sind Ihre Aufgaben als Flüchtlings-Beauftragte?
Meyer: Ich war bereits vorher bei der Caritas für Flüchtlinge zuständig. Jetzt bin ich auch Flüchtlingsbeauftragter des Bistums Fulda. Meine Aufgabe ist, alle Akteure, zum Beispiel Malteser, Kolpingwerk und Caritas, an einen Tisch zu bringen. Außerdem versuche ich, die Pfarrgemeinden in die Arbeit zu integrieren. Ich denke, die Flüchtlingshilfe ist eine Chance, Träger wie Caritas und Seelsorger zusammenzubringen. Menschen, die ehrenamtlich helfen wollen, berate ich gerne.
Und: Wir müssen für Zahlen sorgen. Damit der Einsatz der Kirchen auch in den Medien vermittelt werden kann.
Huchler: Ich habe eine Vollzeitstelle und kümmere mich um verschiedene Themenfelder: neue Stellen schaffen, besonders in der Schwangerschaftsberatung, Ehrenamtliche qualifizieren und Oasentage für sie anbieten und Wohnraum für Flüchtlinge schaffen. Mich rufen Flüchtlinge an wegen Familienzusammenführungen oder Ehrenamtliche, die helfen wollen.
Musik, Tanz und Kunst ist bei uns auch noch ein Thema.
Worytko: Wir werden in Kürze eine Broschüre herausgeben und unsere Homepage erneuern. Die Themenfelder im Bistum Mainz sind Wohnraum, Bildung, Sprache, soziale Seelsorge und Hilfe für besonders Schutzbedürftige wie Frauen, Kinder, Minderjährige und Schwangere.
Beim Thema Wohnraum erleben wir zur Zeit ein gestiegenes Engagement von Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen, die Wohnungen zur Verfügung stellen möchten. Das hat nach den Kölner Ereignissen sogar zugenommen.
Es wird ein spezielles Förderprogramm für Flüchtlingskinder in den Schulen des Bistums Mainz geben und mit Beginn des kommenden Schuljahrs Stipendien für besonders begabte Flüchtlingskinder.
Seit Dezember bin ich auch für die strategischen Ziele des Bistums in der Flüchtlingsarbeit zuständig. Es gibt nun eine eigene Stabsstelle für die Arbeit.
Woher kommt die Aufgabe, als Christ Flüchtlingen zu helfen?
Huchler: In der Bibel steht: „Du sollst den Fremden aufnehmen in dein Haus.“ Und in diesem Fall ist das Haus Deutschland oder die Kirchengemeinde oder vielleicht eine Wohnung in dem Haus, das ich besitze.
Meyer: Die christliche Geschichte ist voll mit Flüchtlingsschicksalen. Und die Sorge um die Menschen ist ein Werk der Barmherzigkeit. Wenn wir uns dem nicht widmen, dann geben wir einen Teil unserer Identität auf.
Flüchtlingshilfe ist ein Werk der Barmherzigkeit. Wenn in Matthäus 25 steht, es sei unsere Aufgabe, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, dann ist das schnell gesagt in einer Predigt. Aber was heißt das konkret für den Alltag? Wie setze ich das um? Das ist die Herausforderung durch das Evangelium: so zu leben.
Worytko: Papst Franziskus fordert immer wieder, dass die Kirche an der Seite der Ärmsten und der Schwächsten stehen soll. Ohne unsere Hilfe haben die Menschen gar keine Chance auf ein würdiges und autonomes Leben.
Wann beginnt denn die Arbeit der Kirche um die Integration der Flüchtlinge? Nicht alle werden ja hier bleiben…
Worytko: Es sind unsere Schützlinge. Wir integrieren die jungen Menschen vom ersten Schritt an. Von dem Tag an, an dem sie zu uns kommen, bemühen wir uns alle im Bistum, diese Menschen zu integrieren. Der letzte Schritt ist, für diese Menschen eine eigene Wohnung zu besorgen.
Huchler: Eritreer, Syrer und Iraker dürfen schon in die Integrationskurse, bevor sie anerkannt sind. Weil die „Bleibeperspektive“ besser ist.
Wir haben nun aber sehr sehr viele Afghanen. Die haben das nicht. Und über deren Asylanträge wurde im vergangenen Jahr überhaupt nicht entschieden. Dann sind die vielleicht drei, vier, fünf Jahre hier ohne Anspruch auf einen Deutschkurs. Das ist für die Kirchen ein gutes Feld zum Arbeiten. Hier setzen wir an und bieten gerade für diese Menschen die Möglichkeit an, Deutsch zu lernen.
Meyer: Egal, ob die Menschen bleiben oder nicht: Wir investieren sofort. Es gibt Sprachkurse auch für jene, die darauf noch keinen Anspruch haben. Der Flüchtling wird von den Kompetenzen profitieren, die er hier erwirbt – auch, wenn er wieder geht.
Worytko: Die Menschen, die zu uns kommen, wollen lernen.
Familiennachzug – ein umstrittenes Thema. Wie steht die Kirche dazu?
Meyer: Die Kirche bezieht in der Frage eine klare Stellung: Familienzusammenführung muss unterstützt werden. Es werden Zuschüsse für Flugtickets und Visa gezahlt. Der Angst vor Überfremdung wird die Wichtigkeit der Familie als Gegenargument gegenüber gestellt.
Das Thema Flüchtlinge wird uns noch länger beschäftigen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Meyer: Ich finde es gut, von der Verwaltung nicht mehr nur als „Gutmensch“ wahrgenommen zu werden nach dem Motto: „Du willst ja nur, dass alle hierher kommen.“ Stattdessen kommt die Politik auf die Caritas zu und wird als Partner wahrgenommen. Ich hoffe, das bleibt so. Für die vielen traumatisierten Flüchtlinge hoffe ich, dass es genug Therapeuten gibt, die sich um sie kümmern.
Wir mischen uns ein im Gespräch mit den Kommunen und den Landkreisen. Wir machen Lobbying für die Menschen.
Huchler: Ich wünsche mir schnellere Wege in der Verwaltung, damit die Flüchtlinge schneller mehr Klarheit haben und in Sprachkurse und eigene Wohnungen kommen. Besonders für die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen wollen wir besondere Fördermaßnahmen auf den Weg bringen, damit die jungen Menschen hier eine Perspektive haben.
Die Kommunen kommen ja heute auf die Kirchen zu und sagen: Wir brauchen eure Hilfe.
Worytko: Eine gute Kooperation mit Städten und Kommunen ist wesentlich. Schön wären weniger Verwaltungswege und mehr Flexibilität in den Bereichen Schule, Wohnraum und Arbeit. Der Wunsch ist offenbar schwer zu erfüllen.
Die Fragen beim Redaktionsgespräch im „Haus am Dom“ in Frankfurt stellten
Ruth Lehnen, Sara Mierzwa und Johannes Becher.