21.06.2017

Pilgerreise nach Lourdes

Luftkurort für die Seele

Maria verehren? „Das kann ich auch zuhause“, sagen Menschen, die mit Marienverehrung sowieso nicht viel am Hut haben. Dennoch ziehen Marienwallfahrtsorte Gläubige wie ein Magnet an. Lourdes fasziniert Menschen aus aller Welt – aus den unterschiedlichsten Gründen.Von Anja Weiffen.

Der heilige Bezirk von Lourdes vor der Kulisse des Berges „Pic du Jer“.  Foto: Anja Weiffen
Der heilige Bezirk von Lourdes vor der Kulisse des Berges „Pic du Jer“. Mehr Bilder aus Lourdes sehen Sie in dieser Bildergalerie.
Foto: Anja Weiffen

Weiße Betonklötze liegen vor dem Eingang zum „Heiligen Bezirk“. Sie gleichen überdimensionalen Legosteinen. Fast sähen sie niedlich aus, wenn der Grund für ihre Existenz nicht so ernst wäre. Seit dem Lastwagen-Attentat in Nizza im vergangenen Juli hat auch der Wallfahrtsort Lourdes Sicherheitsvorkehrungen vor Terror getroffen.

Bis vor kurzem wurden an den Eingängen die Taschen kontrolliert. „Das ist zum Glück wieder vorbei“, erzählt Hildegard Hartenstein, Guide für deutsche Pilger beim Pilger-Informationszentrum in Lourdes. Doch in den Tagen, in denen Teilnehmer einer Leserreise der Kirchenzeitung in Lourdes sind, laufen schwerbewaffnete Polizisten Patrouille. Grund ist die Internationale Militärwallfahrt.  Circa 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus mehr als 40 Ländern sind in der südfranzösischen Stadt.

In diesen Frühlingstagen ist es in Lourdes besonders voll und bunt. 14.000 Einwohner hat Lourdes und circa 22.000 Hotelbetten. „Halb Asien und Afrika sind hier“, ruft eine Pilgerin beeindruckt. Fußgänger, Rollstuhlfaher und Reisebusse teilen sich die enge Straße mit den vielen Andenkenläden. Ausweichmanöver der Verkehrsteilnehmer treiben kurzzeitig den Adrenalinspiegel in die Höhe. Dass niemand hupt oder sich aufregt – allein das ist ein Wunder von Lourdes. Wer hier Heil und Heilung sucht, an dem perlt Rummel und Kitsch ab. Sie sind nur ein Bruchteil von dem, was den Wallfahrtsort am Rand der Pyrenäen ausmacht. Wer ins „sanctuaire“, ins Heiligtum, eintritt, der erlebt Stille – von innen heraus. Der Geist, der durch den Pilgerort weht und der Menschen an diesen Ort zieht, ist für viele spürbar.

Roberta Schoenebeck nimmt gemeinsam mit ihrem Sohn an der Pilgerreise der Kirchenzeitung teil. Auch ihre Mutter aus Sizilien ist mitgereist. Roberta Schoenebeck, Internatsleiterin einer Privatschule in Königshofen, hat ein konkretes Anliegen, das sie und ihre Familienangehörigen nach Lourdes führt. Ihr Sohn Marcel (28) hat eine heikle Operation am Rückenmark hinter und noch eine weitere Operation vor sich. „Ich habe Angst, mein Kind zu verlieren“, sagt sie. „Ich bin nach Lourdes gekommen, um mit diesen Ängsten besser klar zu kommen und um Vertrauen und Kraft zu schöpfen.“ Ein Anliegen einer Mutter, das sie vor die Gottesmutter trägt. Mit der Pilgerfahrt will Roberta Schoenebeck zudem ihre katholische Herkunft pflegen. „Ich habe in eine Familie eingeheiratet, die naturwissenschaftlich geprägt ist. Aber ich selbst bin mit meinen italienischen Wurzeln katholisch aufgewachsen. Wir versuchen in unseren verschiedenen Mentalitäten, voneinander zu lernen.“

Ihren Sohn Marcel hat Roberta Schoenebeck adoptiert, als er drei Jahre alt war. Heute ist Marcel Masuzzo ausgebildeter Erzieher und eigenständig. Nach Lourdes mitgefahren ist er „meiner Mutter und meiner Großmutter zuliebe. Und um auf sie aufzupassen“, sagt der junge Mann lächelnd. Er ist der jüngste Teilnehmer der Pilgerreise der Kirchenzeitung. Seine Großmutter Carmela Castagna ist wie einige weitere Reiseteilnehmer in die Bäder gegangen. Die Quelle, die 1858 die 14-jährige Bernadette Soubirous auf Geheiß der „weißen Dame“ ausgrub, versorgt seitdem den Bezirk um die Grotte mit Wasser zum Trinken, Waschen und Baden. Die Reaktionen der Pilger nach einem Bad ähneln sich. „Ich musste weinen. Mir war, als wenn etwas Schweres von mir genommen wurde“, berichtet eine Pilgerin.

Ein lang gehegter Wunsch ist wahr geworden

Pilger in Lourdes. Foto: Anja Weiffen
Pilger in Lourdes. Foto: Anja Weiffen

Für einige ältere Reiseteilnehmer ist mit der Lourdes-Fahrt ein lang gehegter Wunsch wahr geworden. Als letztes wichtiges Reiseziel nennt etwa Johannes Baum (91) aus Obertshausen den Wallfahrtsort. Ein Sehnsuchtsziel ist Lourdes auch für Ingrid Loycke aus Hofheim, die die Reise mithilfe ihres Rollators gemeistert hat. „Die Reise ist für mich wie ein Geschenk. Ich frage mich: Bin ich wirklich hier oder träume ich?“

Nicht nur Gläubige zieht es in den Wallfahrtsort: Während eines Gesprächs mit Bundeswehrsoldaten erzählt ein Soldat, dass er bereits zum vierten Mal an der Militärwallfahrt teilnimmt – als Atheist. „Mir gefällt es, hier mit Soldaten aus unterschiedlichen Ländern und mit Zivilisten zusammenzukommen“, erklärt er.

Wer öfter nach Lourdes reist, sieht Veränderungen. Ein neu gebauter barrierefreier Weg führt von der Grotte zu den Bädern, auch ein neuer Kreuzweg für Kranke existiert seit einiger Zeit. In der internationalen Messe gibt es glutenfreie Hostien. Neben den typischen blauen Ziehwagen sind immer öfter elektrische Scooter zu sehen, mit denen Gehbehinderte schnell und ohne Hilfe vorwärts kommen.

Lourdes wirkt wie ein Luftkurort für die Seele, der die Kraft hat, Menschen zu verändern – und dadurch sich selbst. Der Geist des Orts bleibt: der zielstrebige Gang der Pilger Richtung Heiligtum, die Mariengesänge in den unterschiedlichsten Sprachen, die unbeirrbare Andacht der Gläubigen… Eine Französin, die öfter von Paris nach Lourdes reist, formuliert es so: „Lourdes, c’est comme être chez moi.“ Lourdes, das ist wie zuhause zu sein.

 

Redakteurin Anja Weiffen hat noch mehr Fotos aus Lourdes mitgebrachte. Zu sehen sind sie in dieser Bildergalerie.