02.03.2016
Aktionswochen für einen menschenfreundlichen Umgang mit Menschen mit Demenz
Mit Humor und ohne Scheu
„Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Ähnliches gilt für den Umgang mit Demenz, meint die Diplom-Sozialpädagogin Eva-Maria Dörr, die in Gau-Algesheim das Projekt „SoNah“ des Diözesancaritasverbands leitet. Mehrere Kooperationspartner veranstalten dort Aktionswochen „Für einen menschenfreundlichen Umgang mit Menschen mit Demenz“. Von Maria Weißenberger.
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Bildunterschrift |
Eine Frau verabschiedet ihren Mann an der Haustür und fragt ihn, ob er noch weiß, was er beim Bäcker holen soll. Als er im Laden ankommt, fragt die Verkäuferin: „Wie immer?“ – „Ja, klar“, sagt er. Diese kurze Geschichte erzählt der Künstler Peter Gaymann in einem der Cartoons, die in der Ausstellung „DEMENSCH“ zurzeit im Caritas-Altenzentrum Albertus-Stift in Gau-Algesheim zu sehen sind. Für Eva-Maria Dörr macht dieser Cartoon deutlich: Wenn Menschen offen mit der demenziellen Erkrankung umgehen, dann können andere – wie die Bäckereiverkäuferin – auch gut damit umgehen. „Ein ganzes Dorf“ trägt dann dazu bei, dass Menschen mit Demenz solange wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld leben können.
Karikaturen über Demenz – ist das okay? Lachen über ein so ernstes Thema? „Es geht ja nicht darum, über die betroffenen Menschen zu lachen“, betont Eva-Maria Dörr, „sondern über die Situationskomik, die nicht selten durch die Demenz entsteht.“ Und durch den humorvollen Zugang, findet sie, „kommt das Thema aus der Ecke raus, in die es vielfach verdrängt wird“.
Lernen zu akzeptieren: „Es ist, wie es ist“
Eine breitere Öffentlichkeit für den Umgang mit Menschen mit Demenz zu interessieren und zu sensibilisieren, das möchten die Veranstalter mit den Aktionswochen erreichen. Die Geschichte vom Einkauf beim Bäcker zeigt: Wenn Angehörige sich nicht mehr schämen, sondern akzeptieren können: „Es ist, wie es ist“, dann sind sie auch in der Lage, den Menschen im Umfeld die Situation zu erklären –und ihnen damit Sicherheit zu geben. Ein Fachvortrag hat bereits stattgefunden, ein Workshop „Umgang mit Demenz“ folgt in der kommenden Woche. „Dabei werden wir mit den Teilnehmern ganz praktisch neue ,Umgangsformen‘ üben, sodass sie die Angst vor komischen Situationen verlieren können“, erklärt Eva-Maria Dörr.
„Das Thema beschäftigt uns zusehends in der Seelsorge“
Witzig und herzerwärmend kommt das Thema in dem Film „Honig im Kopf“ daher, in dem Dieter Hallervorden einen an Demenz erkrankten Mann spielt. Ein Film, der ebenso zum Lachen bringt wie die Cartoons von Peter Gaymann – ohne dadurch den Ernst der Situation zu leugnen. „Wir möchten mit unterschiedlichen Zugängen die unterschiedlichen Menschen ansprechen und sie anregen, sich mit den Herausforderungen zu beschäftigen“, erklärt Eva-Maria Dörr.
Pfarrer Henning Priesel, Leiter der Pfarrgruppe Gau-Algesheim und Dekan des Dekanats Bingen, hat gern die Schirmherrschaft für die Aktionswochen übernommen. „In der Seelsorge beschäftigt uns das Thema zusehends mehr“, sagt er. So kommt er selbst regelmäßig ins Albertus-Stift, wo es eine ganze Etage gibt, auf der ausschließlich demenziell erkrankte Bewohner leben. Einmal im Monat feiert Diakon Stefan Faust dort einen Gottesdienst für Menschen mit Demenz, an dem auch Familienmitglieder und Betreuer teilnehmen. Aber nicht nur im Heim, sondern auch zuhause in den Familien beschäftigt der Umgang mit Demenz nicht wenige Menschen, weiß Priesel. Seine Mutter habe noch vor kurzem mit erstaunlicher Fitness ihren 90. Geburtstag gefeiert. „Inzwischen erleben meine drei Geschwister und ich, wie ihre Lebenskreise zusehends kleiner werden“, erzählt er.
Als er gefragt wurde, ob er die Schirmherrschaft für die Aktionswochen übernimmt, zögerte er nicht: „Ich stelle fest: Wir wollen alle älter werden, mehr Lebenszeit miteinander verbringen“, sagt er. Dabei, bemerkt er, verlieren Menschen oft lange aus dem Auge, wie schwierig die letzte Lebensphase sich gestalten kann. Umso wichtiger sei es, sich dem zu stellen und sich damit zu beschäftigen.
Manchmal erlebe er Ehepartner oder Angehörige, die völlig am Ende sind, weil die Pflege und Begleitung eines Menschen über ihre Kräfte geht. Nicht zuletzt gehe es in der Seelsorge auch darum, sich mit dem tieferen Sinn des Leids auseinanderzusetzen: Wie gehen wir damit um? Wie können wir daran wachsen und reifen?
Bei aller Tragik, die zweifellos mit demenziellen Erkrankungen verbunden ist: „Wir dürfen auch einmal Aspekte zeigen, über die wir miteinander lachen – und dadurch Leben miteinander teilen können“, ist der Priester überzeugt. Über eine Karikatur oder einen guten Film, der einen lachen lässt, werde manchmal eine tiefe Nähe zu den betroffenen Menschen möglich.
„Bei aller Tragik im Leben gibt es ja oft ein lachendes und ein weinendes Auge“, sagt Henning Priesel. „Und ohne das Lachen wären die Tränen ja kaum zu ertragen.“
Service: Veranstaltungen
- Ausstellung „DEMENSCH“: Bis 13. März täglich 9 bis 16 Uhr im Caritas-Altenzentrum Albertusstift in Gau-Algesheim, Schulstraße 20.
- Workshop „Umgang mit Demenz“: Am 12. März von 9.30 bis 13.30 Uhr im Albertusstift. Seniorenbetreuung möglich. Anmeldung: Eva-Maria Dörr, Telefon 06725/ 93250, E-Mail: doerr@albertus-stift.de
- Informationen über Unterstützungsangebote: Am 8. März, 14 bis 16 Uhr im Albertusstift.
- Film „Honig im Kopf“: Am 9. März um 17 Uhr im Rathaus Gau-Algesheim. Anschließend Gespräch und Umtrunk.
Stichwort: SoNAh
SoNAh bedeutet „Sozialraumorientierte Netzwerke in der Altenhilfe“ und ist ein Förderprogramm des Diözesancaritasverbands. Demografischer Wandel, die Zunahme älterer Menschen und der Rückgang von Jüngeren, auch von Helfern, stellt die Altenhilfe vor große Herausforderungen.
Der Caritasverband für die Diözese Mainz möchte mit SoNAh sozialraumorientierte Netzwerke in der Altenhilfe fördern, damit Menschen im Alter auch in Zukunft in ihrem gewohnten Umfeld leben können. Die Projekte sollen ein „Wir-Gefühl“ im Quartier schaffen, soziale Infrastruktur mit Betroffenen verbessern, bedarfsgerechte Wohnangebote initiieren sowie ehrenamtliches Engagement unterschiedlicher Gruppen im Sozial- und Pastoralraum fördern.
Gau-Algesheim ist einer der Projektstandorte. (pm)