27.08.2014
Ein tief bewegender Film: „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“
Niemand ist ein Niemand
Nie war ein Pedant so liebenswürdig wie dieser. „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ erzählt von einem unscheinbaren Sachbearbeiter für Beerdigungen. Klingt öde. Doch dieser dröge Typ, genial verkörpert von Eddie Marsan, entpuppt sich als ganz wundervoller Mensch. Gesehen von Hubertus Büker.
John May ist ein Langweiler, wie er im Buche steht. 44 Jahre alt, Junggeselle, Scheitel links. Zum Dienst in seinem ausgesucht hässlichen Kellerbüro erscheint er seit 22 Jahren stets pünktlich mit Schlips, Pullunder und Aktentasche. Akkurat richtet er Stift, Papiere und Teetasse aus, ehe er sich gemächlich, sorgfältig und methodisch ans Werk macht.
Sein Job: Er organisiert die Bestattung von Menschen ohne Hinterbliebene. Einen solchen „funeral officer“ gibt es tatsächlich in jedem Londoner Stadtbezirk. Dessen Aufgabe ist es nicht, wen zu finden, der die Beerdigung bezahlt. Nein, er soll für eine würdige Beisetzung sorgen.
Bestimmt nicht jeder freilich arbeitet so gewissenhaft wie John May. Er schaut sich in den meist winzigen und verdreckten Behausungen der einsam Verstorbenen um und sucht nach Hinweisen: Wer war der oder die Tote? Existieren vielleicht doch Hinweise auf Angehörige, Freunde, Kollegen? Die Asche der Toten, die man im Krematorium verbrannt hat, bewahrt er noch eine Weile auf – erst wenn er sicher ist, dass es wirklich niemanden gibt, der zur Trauerfeier erscheinen wird, schließt er die Akte. In den meisten Fällen bleibt er trotz aller Mühen der einzige, der „seinen“ Toten das letzte Geleit gibt, vom Geistlichen abgesehen. Für den hat May jedoch eine sehr persönliche Predigt verfasst; darin bringt er zur Sprache, was er über die Verstorbenen weiß, und wenn er wenig weiß, schmückt er ein wenig aus.
John May und das Leben des alten Säufers Billy Stoke
Dass dieser Aufwand den Behörden denn doch irgendwann zu kostspielig erscheinen muss, sieht jeder Bürokrat ein. Mr. May kriegt seine Kündigung. Immerhin kann er heraushandeln, dass er sich noch um seinen aktuellen Todesfall kümmern darf: den Säufer Billy Stoke, der sechs Wochen in seiner Wohnung lag, ehe man seine Leiche entdeckte. Mr. May recherchiert erfolgreich: Er tut einen Ex-Kollegen auf, eine ehemalige Freundin samt Tochter, von der Billy nichts wusste, einen einstigen Kameraden aus dem Falklandkrieg, mehrere Penner, eine weitere Tochter.
Zu Billys Beerdigung will zwar niemand von ihnen erscheinen. Zum Schluss aber ... Nein, das Ende des Films wird nicht verraten. Nur so viel: Es ist sehr, sehr traurig – und tief beglückend.
Dieser Film setzt den Niemands dieser Welt ein Denkmal. Denen, die da achtlos verscharrt werden, nachdem sie jahrelang in Einsamkeit gelebt haben und allein und unbemerkt gestorben sind. Dieser Film mahnt: Leute, wenn ihr euch Menschen nennen wollt, dürft ihr das nicht zulassen.
Seine Botschaft schreit dieser Film nicht heraus. Keine flammende Anklage, kein bitterer Vorwurf. Er erinnert nur in unaufgeregtem Tonfall und mit leisem Humor an eine Selbstverständlichkeit. Das gelingt ihm aber so eindringlich, dass sich alle Zuschauer ihr restliches Leben lang an den kleinlichen großherzigen Mr. May erinnern werden.
Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit.
Großbritannien/Italien 2013.
Buch und Regie: Uberto Pasolini.
Mit Eddie Marsan, Joanne Froggatt.
87 Minuten.
Kinostart: 4. September
www.mister-may.de
Schnell-Check (maximal 5 Punkte)
Humor |
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Romantik |
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Spiritueller Tiefgang |
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Insgesamt empfehlenswert |
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