23.06.2016

Winfried Reininger will eine andere Sozialpolitik, die "Tafeln" überflüssig macht

"Nothilfe ist zur Regelversorgung geworden"

Winfried Reininger ist Pastoralreferent und Bereichsleiter „Gemeindecaritas und Engagementförderung“ beim Mainzer Diözesancaritasverband. Im Rahmen dieser Tätigkeit lädt er zweimal im Jahr zu einer „Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der ehrenamtlichen Leitungen von Lebensmittelausgaben“ ein. Anja Weiffen hat ihn zur aktuellen Lage der "Tafeln" und "Brotkörbe" befragt.

 

Frage: Die von den Brotkörben in Mainz genannten Schwierigkeiten – Überalterung der Ehrenamtlichen sowie weniger zur Verfügung stehende Lebensmittel –, betreffen diese auch die Lebensmittelausgaben im gesamten Bistum?

winfried reininger Foto: privat
Winfried Reininger

Reininger: Zwar sind die Altersstrukturen der Ehrenamtlichen in den einzelnen Lebensmittelausgaben im Bistum unterschiedlich. Aber es gibt diesen Trend: Vor zehn Jahren sind die meisten ehrenamtlichen Ausgaben im Bistum gestartet. Die Ehrenamtlichen sind heute alle zehn Jahre älter. Wenn sie nicht wie einzelne Initiativen sich dynamisch entwickelt und für jüngere Helfer gesorgt haben, ist das durchaus ein Problem. Darüber hinaus fordert die Hilfe für Flüchtlinge gerade viel ehrenamtliches Engagement.
Was die Schwierigkeit betrifft, an genügend Lebensmittel zu kommen, ist auch das ein übergreifender Trend. Die Betriebswirte der Lebensmittelmärkte haben erkannt, dass sie zu viele Waren abschreiben müssen und haben ihre Warenbestände entsprechend reduziert. Zunächst ist dies ja im Sinne der Tafeln, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werden. Allerdings haben freie Initiativen, darunter etwa die Mainzer Brotkörbe, nicht so eine ausgebaute Logistik wie etwa diejenigen Initiativen, die sich dem Bundesverband der Tafeln angeschlossen haben, um solche Engpässe auszugleichen.

Frage: Sie haben vor fünf Jahren in einem Vortrag vor einer Almosengesellschaft gewarnt. Wie sehen Sie das heute?

Erst einmal habe ich Riesenrespekt vor den Menschen, die sich in Lebensmittelausgaben engagieren. Sie sind die Kontaktstelle zu den Hilfsbedürftigen, sie sind wie Seismografen: Sie haben als erste die Altersarmut erkannt, auch die Not von Alleinerziehenden. Ebenso bei der Hilfe für Flüchtlinge sind sie die ersten, die mit den Geflüchteten Kontakt hatten. Und deswegen unterstützt der Diözesancaritasverband diese Initiativen.
Zugleich war es ein Anliegen der Tafeln und Brotkörbe von der ersten Stunde an, sich auf Dauer selbst abzuschaffen. Davon sind wir weit entfernt. Was als Nothilfe begann, ist zur Regelversorgung geworden. Auch die Menschen, die diese Hilfe in Anspruch nehmen, haben das Gefühl für diesen Unterschied verloren. Das Problem ist der Gesellschaft und der Politik seit Jahren bekannt, verändert hat sich wenig. Und zu lösen ist es eben nur durch eine Veränderung der Sozialpolitik.

Frage: Was raten Sie Ehrenamtlichen in Lebensmittelausgaben?

Weiterhelfen, aber zugleich Politiker auf diese unbefriedigende Situation aufmerksam machen. Jede Lebensmittelausgabe sollte ein bis zwei Leute haben, die sich sozial-politisch engagieren. Daher ist es richtig, dass zum Beispiel die beiden Mainzer Brotkörbe zu ihrem zehnjährigen Bestehen mit einer Pressekonferenz „Alarm geschlagen“ haben.