05.09.2013
Halten und Gehalten-Sein
Tango ist ein spiritueller Tanz
„Oh, Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“ So wirbt der Kirchenlehrer Augustinus. Welchen Tanz? Den Tango argentino natürlich. Den hat auch Papst Franziskus gern getanzt. Und ihn so katholisch geadelt. Mit Recht: denn der Tango ist zutiefst spirituell. Ja, irgendwie sogar fromm. Ein Bekenntnis von Johannes Becher.
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Tango ist Leben: „Eine Sehnsucht nach dem Himmel, die man tanzen kann“ (Frank Hiddemann, evangelischer Pfarrer in Gera). Foto: Wolfgang Pfensig / www.pixelio.de |
„Obwohl du heute Franziskus heißt, bleibst du für uns Jorge aus Flores.“ Eine Zeile aus dem „Tango für Franziskus“, den Papst aus Argentinien. Ein Musiker hat die Zeilen von Enrique Bugatti gerade vertont. Der Tango argentino ist angekommen im Katholischen.
Das war nicht immer so. Vor gut 100 Jahren, 1910, hat Papst Pius X. den Katholiken verboten, Tango zu tanzen. „Sündhaft!“ Und auch wenn er das Verbot vier Jahre später zurücknimmt – ein Argentinier hat in Frack und Zylinder vor seinen Augen mit der Botschaftssekretärin getanzt – bleiben die Klischees. Unanständig.
Vertikaler Ausdruck eines horizontalen Verlangens
Und Klischees sind dem Tango überall schnell aufgepappt worden: Wo der herkommt (zuerst in Bordellen getanzt), wie das aussieht (sehr enger Körperkontakt), wo das hinführt (auch mit fremden Partnern)… Dazu kommt das deutsche Missverständnis: der gestelzte Tango aus der Tanzschule. „Eins, zwei, Wiegeschritt, rück, seit, ran.“ Aber der hat mit dem Tango argentino so viel zu tun wie der Rosenkranz mit dem Buddhismus.
Befreit von der Schwere der Dinge
Prüfen wir – gerechtfertigt durch die Liebe des Papstes Franziskus zum Tango – also seine Dimensionen. Warum ist er ein spiritueller Tanz, fromm sogar? Die Kriterien benennt der Kirchenlehrer Augustinus (zumindest wird der Text ihm zugeschrieben): Augustinus: „Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge. Er bindet den Einzelnen an die Gemeinschaft.“ Befreit von der Schwere, dem Leben zugewandt, eingebunden in die Gemeinschaft. Keiner tanzt alleine. Achtet auf den Tanzfluss. Tanzt rücksichtsvoll. Nehmt die anderen wahr. Seid Gemeinschaft. Tango-Gemeinde. Werft alles Schwere von euch. Wie singt der Psalmist: „Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt“ (Psalm 30).
„Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert – Gesundheit und Klarheit im Geist sowie eine beschwingte Seele.“
Klarheit im Geiste. Die Seele beschwingt. Lebensfroh. Der nächste Schritt. Unterwegs sein.
„Tanzen ist Verwandlung, Raum und Zeit, Tanzen verwandelt den Menschen, der ständig Gefahr läuft, ganz Hirn, Verstand und Wille zu werden.“
Der einzige Moment, in dem der Kopf Pause hat. Mit allen Sinnen aus dem Bauch heraus. Nicht Figuren überlegen. Einfach in der Musik sein. Spürig. Ankommen in einer anderen Wirklichkeit. „Der Tanz hingegen fordert den ganzen Menschen, den Menschen, der in seiner Mitte lebt und ankert, der nicht besessen ist von der Gier nach immer mehr; oder vom Dämon der Selbstsucht und des Ichs.“
Aus der Mitte leben. Ankern in mir selbst. Jetzt, nicht bald; hier, nicht dort. Das Schönste am Tango sind die Pausen.
Bei sich bleiben, beim anderen sein, offen für Gott. Eine Erfahrung von Transzendenz. Drei Minuten einer anderen Wirklichkeit. Sehnsucht nach dem Himmel. Getanzte Sehnsucht. Zu zweit im Paar. Nach oben offen. Leichter, beschwingter geht’s im Vals, Walzer im Drei-Viertel-Takt. Schwebend fast. Bodenständig, erdig, im bäuerlichen Tango, der schnellen Milonga.
„Der Tanz fordert den bereiten, den schwingenden, den ausgeglichenen Menschen; den Menschen im Gleichgewicht seiner Kräfte. Daher lobe ich den Tanz.“
Im Gleichgewicht sein. In der eigenen Achse bleiben. Nicht an der Partnerin hängen. Selbstständig. Freies Spiel der Kräfte. Raum geben. Einladen in die gemeinsame Bewegung.
Tango-Gottesdienste aus Sehnsucht nach Heimat
Das alles ist Tango. Ein Kult. Eine spirituelle Erfahrung. Eine fromme Übung. Eine Passion. Leidenschaft.
Kein Wunder, dass es in Köln in der evangelischen Lutherkirche schon seit zehn Jahren regelmäßig „Tango-Gottesdienste“ gibt. Eingeladen wird zu einem Schwerpunktthema – „Mensch ohne Heimat“, „Leidenschaft“ – ein professionelles Tanzpaar tritt auf… Warum?
„Im Tango vereint sich alles, was das Leben ausmacht. Sehnsucht, Einsamkeit, Leidenschaft, Erotik und Wut. Es ist ein Tanz, der sich zwischen Beherrschung und Unterwerfung abspielt, zwischen Begehren und Zurückweisung. Tango ist aber vor allem der getanzte Traum von einem besseren Leben.“ So steht es auf der Homepage der Lutherkirche. Und dann: Der Tango sei „ein Spiegel der Unsicherheit und Zerbrechlichkeit einer Welt, die sich in rasender Geschwindigkeit verändert. Der Tango symbolisiert die Sehnsucht nach Heimat und Zuhausesein.“
Eine Ahnung vom Reich Gottes
Tango ist Leben. Tango ist spirituell. Tango ist fromm. Viele Assoziationen tauchen auf, die man auch einer religiösen Übung zuschreibt. Tango ist eine Meditation in der Musik. Ein Offen-Halten für den Einfall des Göttlichen in den Augenblick, eine Ahnung vom Mehr…
Es geht um Improvisieren in einem vorgegebenen Rahmen. Um Freiheit in Verantwortung. Um Führen und Folgen. Um Rücksichtnahme im Raum. Um Kommunikation im Paar, um Achtsamkeit, um Zuwendung, um Immer-weiter-Gehen. Um Balance. Um Pausen. Um Rhythmus. Im Takt bleiben. Um Geben und Nehmen. Um Haltung. Halten und Gehalten-Sein. Ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Bodenständig. Himmelwärts. Erdverbunden und luftvermählt. Ein Tanz zwischen dem Ist und dem Morgen. Zwischen schon und noch nicht. Eine Ahnung vom Reich Gottes.
Der Tango, ein Spiegel der Seele, ein Spiegel des Lebens. Tango ist Leben.
Tangogottesdienst in der Lutherkirche in Köln