05.04.2016
Die Fragen der Menschen: Schuld und Vergebung
„Vergebung ist ein Wagnis“
Was ist Schuld? Was ist Sühne? Und bin ich auch schuldig, wenn ich nicht mit Absicht gehandelt habe? Fragen an Edeltraud Koller. Sie ist Juniorprofessorin und Lehrstuhlvertretung für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt.
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In manchen Situationen reichen Blumen nicht aus, um Unrecht wieder gut zu machen. Foto: Fotolia/ WS-Design |
Frage: Bin ich schuld, wenn ich ohne Absicht etwas Unrechtes tue, wie zum Beispiel der Fahrdienstleiter aus Bad Aibling?
In unserem rechtlichen Verständnis bin ich auch schuld, wenn ich unabsichtlich Schaden verursache und dafür Verantwortung trage. Die Konsequenz ist Bestrafung. Eine andere Frage ist die nach der ethischen oder moralischen Schuld. Diese setzt unter anderem auch die Absicht voraus. Wer ohne Absicht einen Unfall verursacht, kann im rechtlichen Sinn schuldig sein, lädt aber keine moralische Schuld auf sich. Aus ethischer Sicht geht es um die Frage, wie wir Menschen mit Fehlern, die wir nicht machen wollten und die tragische Folgen haben, umgehen können. Der Umgang mit Schuldgefühlen und unserer Verantwortung oder Mitverantwortung für das Leid von anderen Menschen – das sind hier die eigentlich ethischen Probleme.
Was ist Sühne aus theologischem Verständnis? Kann ich durch Leistung etwas wiedergutmachen oder gibt es Grenzen?
Der Begriff kommt eigentlich aus einem rechtlichen Denken: Sühne ist eine Strafe in Form einer Leistung oder Wiedergutmachung für begangenes Unrecht. Die Religionen kennen Sühne als Leistung des schuldig gewordenen Menschen, der sein verletztes Verhältnis zu Gott mit einem angemessenen Beitrag heilen möchte. Dieses Verständnis von Sühne ist aber problematisch, weil es oft einen Ausgleich oder eine echte Wiedergutmachung nicht geben kann.
Kirchlich und theologisch verwenden wir den Begriff Buße. Gemeint ist nicht eine Art Bezahlung für die eigene Schuld. Buße ist Ausdruck für die Annahme der Schuld und für die eigene Umkehr. Sie ist nicht nur innerlich. Dienste der Nächstenliebe, Gebete, Spenden, Fasten und anderes können Bußwerke sein. Buße oder Sühne kann das, was man getan hat, nicht rückgängig machen. Doch sie kann helfen, die eigene Schuld zu bewältigen und sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, denen man Schaden oder Leid zugefügt hat. Sie ist ein wichtiger Teil des Neuanfangs und kann Versöhnung mit sich selbst und mit den Leidtragenden bringen.
Das Bußsakrament wird von Gläubigen immer seltener wahrgenommen. Warum möchten Menschen nicht über ihre Schuld sprechen?
Wer sich mit seiner eigenen Schuld auseinandersetzt, sieht die eigenen Fehler, Unzulänglichkeiten und das Verfehlen des Guten. Das ist nicht leicht. Doch es ist möglich und ein wichtiger Schritt, eigene Schuld aufzuarbeiten und zu bewältigen. Viele Menschen heutzutage sprechen über Schuld zum Beispiel in Therapien, Selbsthilfegruppen, Exerzitien, Freundeskreisen oder in der Kirche. Ich denke, dass weniger Beichten nicht generell die Unfähigkeit der Gläubigen zeigt, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Es gibt mehrere Ursachen: Beispielsweise haben in der Vergangenheit viele Gläubige die Beichte nicht als heilvoll erlebt, oder die Gläubigen finden vor Ort keinen guten Beichtvater vor.
Vergibt der Beichtvater die Schuld oder Gott?
Gott vergibt die Schuld. Der Beichtvater spricht die Vergebung Gottes zu, spricht also wirklich von den Sünden los. Er sagt: „So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Natürlich spricht der Beichthörende nicht als Privatperson los; die Lossprechung gibt er im Namen der Kirche und in Stellvertretung Christi.
Muss ich als Opfer jemandem vergeben, der sich bei mir entschuldigt?
Vergebung bedeutet, dass das Unrecht, was einem angetan wurde, die eigene Zukunft nicht bestimmen soll. Getragen ist das Vergeben von der Hoffnung auf Versöhnung. Insofern tun wir uns selbst nichts Gutes, wenn wir uns grundsätzlich weigern zu vergeben. Trotzdem kann es keine moralische Pflicht geben, jemandem zu vergeben. Wenn sich jemand bei mir entschul-digt, heißt das: Er oder sie bittet mich um Vergebung. Diese Bitte um Vergebung kann auch abgewiesen werden, sie ist ein Wagnis. Daher geschieht etwas wirklich Großes, wenn – gerade angesichts von großem Unrecht und großem Leid – Vergebung erfolgt.
Wenn Jesus ohne Sünde war – kann er dann ein richtiger Mensch gewesen sein?
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Edeltraud Koller Foto: privat |
Die Antwort ist: Ja. Wir bekennen Jesus Christus als „wahrhaft Mensch und wahrhaft Gott“, „in allem uns gleich außer der Sünde“. In Jesus sehen wir einen wirklich gottverbundenen Menschen, der aus seiner Gottesbeziehung heraus lebt. Jesus vertraut Gott zutiefst, nimmt Gottes Liebe an und stellt sich nicht gegen die Beziehung zu Gott. Das meinen wir im Grunde mit unserem Bekenntnis, dass Jesus ohne Sünde war.
Dieses Vertrauen, diese innigste Bindung an Gott macht ihn nicht klein, sondern erst frei und fähig, seinen Weg zu gehen. Er lebt vor, dass es möglich ist, auf Gewalt nicht mit Gegengewalt und auf Schuld nicht mit noch größerem Leid zu antworten. So kann Jesus als Vorbild gelten, wahrhaft Mensch zu sein. Das ist schließlich die grundlegende Bedeutung von Nachfolge.
Global gesehen beuten manche Menschen andere und den Planeten aus. Wie können Christen mit dieser strukturellen Schuld umgehen?
Die Strukturen der Schuld bestehen global darin, dass viele Menschen auf Kosten anderer leben. Auch wir – ohne dass das die meisten wirklich wollen. Wir sind durch unsere Lebensweise,
Wirtschaftsstrukturen und Konsumgewohnheiten in diese ungerechten Strukturen hineinverwoben. Das Problem: Globale Strukturen der Schuld sind nicht schnell zu verändern, und die Probleme scheinen auch sehr weit entfernt zu sein. Das kann zu Ohnmachtsgefühlen führen. Der Umgang von Chris-
tinnen und Christen kann nicht in Resignation bestehen. Denn der christliche Glaube ist nie nur privat: Der Glaube an Gott und die Hoffnung auf das unter uns anbrechende Reich Gottes motiviert Glaubende zum Engagement für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung.
Konkret kann das heißen: Christinnen und Christen – persönlich und gemeinsam als Gemeinde oder als Kirche – müssen sich für Gerechtigkeit engagieren. Dazu gehört, sich ungerechte Strukturen und die eigene Mitverantwortung bewusst zu machen. Wege dafür sind beispielsweise Bildung, Predigten, Arbeitsgruppen und Integration der Schöpfungsspiritualität und Friedenshoffnung in Gebeten und Gottesdiensten. Außerdem können wir gerechtere Strukturen durch kirchliches Engagement in der Eine-Welt-Arbeit sowie durch sozialen und ökologischen Konsum fördern.
Die Fragen zusammengestellt hat Sara Mierzwa.