20.09.2016

Gudrun Drehsen-Sohn geht in Ruhestand und hinterlässt viele Spuren, nicht nur bei alten Menschen

Von hundert auf null

16 Jahre lang hat die Sozialarbeiterin Gudrun Drehsen-Sohn im Caritas-Altenzentrum Maria Königin in Mainz gewirkt. Am liebsten würde sie klammheimlich gehen. Das wird schwierig, denn sie hat ein großes Menschen-Netzwerk gesponnen. Von Sara Mierzwa.

Gudrun Drehsen-Sohn Foto: Sarah Mierzwa
Gudrun Drehsen-Sohn sitzt im Garten des Altenzentrums in Mainz-Drais und
zeigt eine der selbst genähten Handpuppen für die Märchenstunden.
Foto: Sara Mierzwa

Ihr Leben war immer gefüllt mit Arbeit. Im letzten Jahr vor dem Ruhestand hat sie ihre Stelle noch einmal auf 100 Prozent aufgestockt. Am 30. September ist ihr letzter Arbeitstag. „Ich werde bestimmt flennen“, sagt Gudrun Drehsen-Sohn, die meistens lacht. Einer der Kollegen hat versucht, sie zum Bleiben zu überreden und ihr im Gegenzug wöchentlich eine Massage versprochen. Doch auch dieses Angebot hält Drehsen-Sohn nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz. Sie freut sich trotz Abschiedstränen auf ihren Ruhestand.

Arbeit ist Erfüllung für sie

Die Arbeit als Sozialarbeiterin im Altenzentrum bezeichnet sie als den Höhepunkt ihres Lebens. Nachdem sie viele Jahre beim Jugendamt und Sozialamt Akten wälzte, kam sie vor 16 Jahren ins Caritas-Altenzentrum Maria Königin in Mainz-Drais.

Dort konnte sie endlich mehr mit Menschen arbeiten und kreativ sein. Sie organisierte Gottesdienste für Menschen mit Demenz, Sommerfeste, Märchenstunden und das Netzwerk SoNah mit. Sie kümmerte sich um die Ehrenamtlichen, lud Referenten für Diskussionsabende „Gott und die Welt“ ein und setzte sich für ein offenes Altenzentrum ein.

Besonders gerne hat sie die Märchenstunden mit Kita-Kindern und alten Menschen organisiert. Das Netzwerk wächst ständig: Schulkinder und Kindergartenkinder essen regelmäßig zu Mittag im Altenzentrum. Das Café besuchen Leute aus dem Stadtteil zum „Kaffeekränzchen“. Studenten bieten Theaterworkshops an. Das Altenzentrum ist ein lebendiger Ort – trotz und wegen der vielen alten Menschen.

In einem Flur hängen Bilder von den Bremer-Stadtmusikanten. „Dieses Märchen zeigt die Lebenssituation vieler alter Menschen, die von der Gesellschaft abgeschoben werden“, sagt Drehsen-Sohn.

Die Sozialarbeiterin schätzt die Lebensweisheit der Bewohner. Auch diejenigen, die an Demenz erkrankt sind, strahlen sie aus. „Die meisten sehen dem eigenen Tod gelassen entgegen, das kann man von ihnen lernen“, meint sie.

Mit dem Altwerden hat Drehsen-Sohn keine Probleme. Sie freut sich, im Ruhestand auf ihr Leben zurückschauen zu können: Was ist gut oder schlecht verlaufen? Welche Dinge möchte sie noch klären? „Jetzt helfe ich Leuten, ihre Scheune aufzuräumen, und im Ruhestand kann ich mich dann um meine eigene kümmern“, sagt sie.

Neues entdecken in der Rente

Sie freut sich, im Ruhestand mehr Zeit für Arbeit im Garten zu haben – einen wilden Garten hat sie am Haus, in dem sie mit ihrem Mann wohnt. „Bei mir gibt es kein Unkraut“, sagt sie. Der Löwenzahn darf blühen und sich auf ihrer Wiese verbreiten. An ihrem grünen Shirt steckt eine genähte Blume.
Sie freut sich über jede Pflanze, besonders mag sie Rosen. Aus den Hagebutten wird sie im Herbst Likör ansetzen. Sie verbringt gern ihre Freizeit damit, Dinge selber herzustellen.

Seit einiger Zeit lernt sie schnitzen von einem russischen Künstler. „Da möchte ich in meiner Rente noch mehr einsteigen“, plant sie. Ein Relief mit Lilien aus Eichen- und einen Kopf aus Lindenholz hat sie schon begonnen. In ihrem Gartenschuppen ist Raum für das neue Hobby. Im Haus stehen ein Klavier, eine Gitarre und ein Saxophon. Die Instrumente haben ihre zwei Söhne gespielt, die inzwischen ausgezogen sind. Vielleicht wird Drehsen-Sohn auch wieder zur Gitarre greifen.

Und ein ganz wichtiger Plan: Faulenzen und Lesen. Gerade hat sie ein Buch aus dem Bücherschrank im Caritas-Altenzentrum Maria Königin zur Geschichte der Maya gelesen. Das Thema interessiert sie, weil ihr Sohn ein halbes Jahr in Mexiko war.

In ihrem Leben haben der christliche Glaube und das Gemeindeleben einen großen Platz. Jahrelang war sie im Pfarrgemeinderat. Nächstenliebe ist für sie einer der wichtigsten Werte. „Mich selbst anzunehmen ist die Voraussetzung dafür“, sagt sie und findet es wichtig, der Liebe im Leben mehr Raum zu geben. Das bedeutet zum Beispiel, die Mitmenschen anzunehmen, wie sie sind. „ Es gibt aber auch Leute, die ich nicht mag“, gesteht sie. Auch denen gegenüber bleibt sie freundlich und versucht, ihnen aus dem Weg zu gehen.

Auf dem Flur begegnet sie einem alten Mann auf Krücken. „Das geht doch schon prima“, sagt sie aufmunternd. Sie kennt jeden der Bewohner und jeden der Mitarbeiter. Bei der Entscheidung, wer ihre Nachfolgerin wird, bestimmt sie mit. Doch nach ihrem letztem Arbeitstag wird sie erst einmal nicht mehr in ihr „zweites Zuhause“ zurückkehren. „Das ist nicht gut für die Nachfolger“, begründet sie diese Entscheidung.
 

Zur Sache: Märchenpuppen

Märchen sind für alte Menschen und Demenzkranke oft noch gut zu verstehen, weil sie an die Kindheit erinnern und vertraut sind. Oft lassen sich anschließend Gespräche führen und Biografiearbeit wird angestoßen. Sprüche, wie „heute back’ ich, morgen brau’ ich“ können viele noch mitsprechen.

Die Verwandlungspuppen zu Märchen und biblischen Geschichten gibt es im Internet:
www.maerchen-laden.de/de/verwandlungspuppen.html