15.12.2015
Interview mit Benediktinerabt Johannes Eckert
"Weihnachten ist an den Rändern"
Zu Heiligabend werden die Menschen wieder in die Kirchen strömen. "Stille Nacht" und Lichterglanz scheinen nach wie vor anzuziehen. Der Abt der Benediktiner von München-Sankt Bonifaz und Kloster Andechs, Johannes Eckert, spricht im Interview über dieses Phänomen und das Geheimnis von Weihnachten.
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"Weihnachten geschieht an den Rändern", sagt Abt Johannes Eckert. Heute und damals, denn auch Bethlehem und die Krippe waren nicht das Zentrum der damaligen Welt. Foto: kna-bild |
Abt Johannes, für manchen mag die Teilnahme an der Christmette der einzige Gottesdienstbesuch im ganzen Jahr sein. Haben Sie eine Erklärung, warum gerade an Weihnachten die Leute kommen?
Dahinter steckt eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und Tradition. Weihnachten ist eben ein Familienfest. An diesem Abend wollen die Menschen nicht allein sein. Und dann suchen sie etwas Stimmungsvolles, also eine Liturgie mit Kerzen, Weihrauch, dem Kind in der Krippe und dem Christbaum. Viele Emotionen kommen zusammen. Ich finde es schön, wenn Menschen dem Raum geben und auch zum Gottesdienst kommen.
Regelmäßige Kirchenbesucher müssen bisweilen feststellen, dass ihr Stammplatz bei der Mette von einem Outsider besetzt ist. Ist das gerecht?
Tatsächlich kann es am Heiligen Abend vorkommen, dass man im wörtlichen Sinne ver-rückt wird, also auf einen anderen Platz ausweichen muss. Das ist zunächst eine unangenehme Erfahrung, theologisch betrachtet aber eine gute. Denn Weihnachten, wie es der Evangelist Lukas schildert, geschieht an den Rändern. Gott kommt nicht in Metropolen wie Rom oder Jerusalem zur Welt. Von beiden Städten aus gesehen liegt Bethlehem am Rand. Und selbst dort geht es noch weiter hinaus auf die Wiesen und Fluren, wo die Engel diesen Randexistenzen von Hirten erscheinen und ihnen die Frohe Botschaft mitteilen.
"Heute ist Euch der Retter geboren", verkünden die Engel den Hirten. Wer die kritische Weltlage derzeit anschaut, könnte sich fragen: Und wo ist er 2015?
Wir können jetzt auf Spurensuche gehen. Wenn es im Lukasevangelium heißt, dass in der Herberge kein Platz war und dann der Retter am Rand von Bethlehem geboren wird, lässt sich fragen, wo sind diese Ränder heute? Wo kann da etwas spürbar werden? Christen dürfen sicher sein, von diesem Gott nicht alleingelassen zu werden. Er nimmt die scheinbaren Ränder in den Blick. Das letzte Wort im Lukas-Evangelium, das Jesus am Kreuz zu einem Menschen spricht, gilt dem reumütigen Schächer. Ihm verspricht er: "Noch heute wirst Du mit mir im Paradies sein." Noch in dieser letzten Minute seines Daseins spricht Jesus ihm zu, dass der Retter für ihn geboren ist. Wir gehen nicht schuldlos durchs Leben, wir machen Fehler, aber wir haben immer die Möglichkeit, zu Gott zurückzukehren.
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Abt Johannes Eckert Foto: kna-bild |
Die Weihnachtsbotschaft ist eine Ermutigung, sensibel zu sein, für das, was im Alltag passiert, lautet ihre These. Wie meinen Sie das?
Es gibt diese Geschichte des jüdischen Autors Manes Sperber. Seine Eltern waren überzeugt, der Messias werde bald kommen und die Welt auf den Kopf stellen. Sie rieten deshalb ihren Kindern, das "Auf dem-Kopf-Stehen" und das auf den "Händen-Laufen" zu lernen. So sollten diese geübt sein für die neue Perspektive.
Und wo sehen Sie unsere wohlgeordnete Welt auf den Kopf gestellt?
Ein aktuelles Beispiel dafür ist die "Flüchtlingskrise". Ich bin beeindruckt, wie viele Menschen in unserem Land "Kopfstände" machen und auf ganz unkomplizierte Weise den Flüchtlingen helfen, seien es Sprachkurse, Kleidung oder Behördengänge. Da kommt Gott zur Welt. Aber es kann auch mal ganz anders passieren. Wenn ich etwa einen alten Freund wieder treffe und mit ihm, obwohl mein Schreibtisch noch voll mit Arbeit ist, auf einen Kaffee gehe und mir eine Stunde Zeit zum Erzählen nehme. Das ist dann Weihnachten im Alltag.
Das Geheimnis von Weihnachten kann überall geschehen, sagen Sie. Welche Hoffnung verbinden Sie damit?
Für mich ist immer eine tröstliche Botschaft, dass die Engel sagen: "Fürchtet Euch nicht!" Und auch jetzt, wo wir viele Umbrüche, viel Bedrohliches und Dunkles erleben, ist das eine beeindruckende Botschaft. Gott kommt in der Nacht zur Welt, also auch in unserer Nacht. Das erste aber, was uns zugesprochen wird, lautet keine Furcht zu haben. Gottes Glanz ist stärker als alle Dunkelheit. Daran dürfen wir uns immer wieder festhalten. Das gilt auch im Tod, vor dem wir berechtigterweise Angst haben, weil wir nicht sicher wissen, wie es weiter geht. Das Wort aber gilt für jeden von uns, dass der Glanz aus der Höhe uns auch dann umstrahlen wird. Das ist meine Hoffnung, und es wäre schön, wenn das viele erleben.
kna