12.09.2016
Abtprimas Notker Wolf
Weiter junge Menschen anziehen
Nach 16 Jahren endete nun die Amtszeit von Abtprimas Notker Wolf als Vertreter der weltweit rund tausend Benediktinerklöster. Auch als Gast in TV-Talkshows und als Bestsellerautor wurde der E-Gitarre spielende Mönch einem Millionenpublikum bekannt. Was kommt jetzt für den rastlosen Bayern?
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Kennt sich sowohl mit Gregorianischem Choral als auch mit E-Gitarre und Querflöte aus: Abtprimas Notker Wolf. Foto: Michael Bönte |
Abtprimas Notker, Sie kommen in viele Länder dieser Erde, um die verschiedenen Klöster zu besuchen. Wie ist Ihr Eindruck angesichts von Terror und Gewalt: Gerät die Welt aus den Fugen?
Die Welt war immer schon aus den Fugen; nur haben wir es weniger gemerkt. Die heutigen Medien ermöglichen es, dass wir jede Kleinigkeit sofort erfahren. Im Moment wird auch noch bei jedem Mord und jeder Messerstecherei gleich ein Terrorakt vermutet. Diese Frevel hat es immer schon gegeben.
Welche Haltung würde Benedikt von Nursia in solchen schwankenden Zeiten empfehlen?
Auch Benedikt lebte im 5./6. Jahrhundert in einer Zeit politischer Wirren. Er hat versucht, Mönchen eine Regel des Zusammenlebens zu geben, unter dem Motto „Suche den Frieden und jage ihm nach.“ Seine Haltung: allen in ihren Eigenarten zu dienen. Herrschen und erst recht eine Vormachtstellung lagen ihm fern. Er hat den Ostgotenkönig Totila, der ihn täuschen wollte, entlarvt. Er würde vielleicht auch die Herrschenden unserer Tage fragen: Wer hat den Islamischen Staat mit aufgebaut und viele zur Flucht gezwungen, um überleben zu können? Benedikt war ein Mann absoluter Ehrlichkeit.
In der Kirche in Deutschland liegt einiges im Argen. Manche sagen, die Krise sei seit langem absehbar gewesen: Die Pfarreien werden größer, die Gottesdienstgemeinden älter, die Pries-ter weniger, Pastoralkonzepte werden hinterfragt. Wie stellt sich die Situation für Sie dar?
Die Zusammenlegung von Pfarreien wird an ihre Grenzen stoßen. Immer noch größere Räume zu schaffen, entfremdet die Menschen von ihren Gemeinden. Eine Gemeinde muss überschaubar bleiben, gerade in der Sorge für die einzelnen Gläubigen. Laien sollten mehr Befugnisse erhalten. In Tansania hatten wir seit Mitte des vorigen Jahrhunderts Gemeinden mit 3000 bis 5000 Gläubigen. Der Katechet war der praktische Leiter und rief die Gemeinden an Sonntagen zu Wortgottesdiensten zusammen. Der Pater konnte oft nur alle vier Wochen Eucharistie mit einer Gemeinde feiern. In unserer mobilen Zeit braucht der Pfarrer dafür nicht nur selbst zu kommen, sondern auch die Gläubigen können zur Eucharistiefeier fahren und andere mitnehmen. Vielleicht lernen sie dadurch, den Wert des Sonntagsgottesdienstes wieder mehr zu schätzen.
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Abtprimas Notker vor Sant Anselmo in Rom. Foto: Vera Krause |
Was muss sich ändern – und was ist zu tun, damit sich etwas ändert?
Die Gläubigen müssen eigenverantwortlich werden. Das hat Papst Franziskus auch in seinem nachsynodalen Schreiben über die Familie betont. Nicht mehr „man“ glaubt, sondern „ich“ glaube und bin vor Gott verantwortlich. Das ist keine Verwässerung des katholischen Glaubens, wie manche meinen, sondern nimmt den Einzelnen in seiner Verantwortung ernst. Die Zeiten, da sich die Gläubigen einfach kirchlichen Vorschriften beugten, sind vorbei. Aber das fordert jeden Einzelnen heraus.
Sie leben in Rom, im Zentrum der Weltkirche. Was hat sich getan, seit Franziskus Papst ist? Oder tut sich eigentlich doch nichts im Vatikan?
Mit Papst Franziskus hat eine neue „Denke“ Einzug gehalten, gerade indem er ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Es geht um den Umgang der Christen mit einander und um das christliche Zeugnis in unserer Welt. Viele im Vatikan ziehen mit, einige blockieren. Aber der Papst kann nicht alle Mitarbeiter von heute auf morgen austauschen. Sein Anliegen wird bei den Bischofsernennungen deutlich, und das wird nachhaltig wirken.
Und die Benediktiner? Wie sehen Sie ihre Zukunft – vor allem in Deutschland?
Wir Benediktiner in Deutschland sind uns durchaus bewusst, dass wir nicht besonders stark dastehen. Aber es tut sich ein Bewusstseinswandel, die Klöster suchen ihre Verortung in unserer Zeit, und das wird neues Leben bringen. Eine lebendige Gemeinschaft und eine aus dem Innern getragene Liturgie werden weiterhin junge Menschen anziehen.
16 Jahre lang waren Sie der Vertreter aller Benediktinerinnen und Benediktiner weltweit. Wie geht’s jetzt weiter? Nehmen Sie den vorgesehenen Platz irgendwo im Chorgestühl ihrer bayerischen Heimatabtei St. Ottilien wieder ein? Oder gehen Sie als 76-Jähriger mit E-Gitarre und Querflöte auf Welttournee?
„Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Ich werde in meine Heimatabtei St. Ottilien zurückkehren und mich in die Reihe der Mitbrüder einfügen. Was an Aufgaben auf mich zukommen wird, weiß ich nicht. Ich habe immer das getan, was gerade notwendig war und als Herausforderung auf mich zukam. Ich blicke nach vorn, erhoffe mir allerdings etwas mehr Zeit für Studien und Musik, auch mit meiner Band „Feedback“. Denn das Schönste bei der Musik ist die Gemeinschaft musizierender Menschen.
Interview von Markus Nolte
Zur Sache: Kurzbiographie
Abtprimas Notker Wolf: Philosoph und Rocker
Notker Wolf wurde 1940 im Allgäu als Sohn eines Tischlers geboren, besuchte das Gymnasium der Missionsbenediktiner von St. Ottilien und trat dort nach seinem Abitur 1961 ins Kloster ein. Er studierte Philosophie, Theologie, Zoologie, anorganische Chemie und Geschichte der Astronomie in Rom und München. 1970 wurde er an der Benediktiner-Hochschule Sant’Anselmo Professor für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie.
Sieben Jahre später wählten ihn seine Brüder in St. Ottilien zu ihrem Abt. Damit war Notker Wolf zugleich Leiter der Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien, zu der 20 Klöster weltweit gehören – so in Afrika, Lateinamerika und Asien.
Im Jahr 2000 kehrte er wieder nach Sant’Anselmo zurück – diesmal als Abtprimas der Benediktinischen Konföderation. Nach drei Wahlperioden endet dieses Amt im September.
Einen Ausgleich zu seinen vielen und weiten Reisen findet Notker Wolf in der Musik. Er ist nicht nur ein Kenner des Gregorianischen Chorals, sondern spielt auch Querflöte und E-Gitarre, unter anderem mit seiner Rockband „Feedback“.