26.05.2023

Das Ethik-Eck: Der neue Verwaltungssprech

Kirche ist doch keine Fabrik

Die Frage lautet diesmal: „Kirche ist doch keine Fabrik. In meinem Bistum wird jetzt endlich auch die Verwaltungszentrale umgebaut. Die neuen Arbeitsbereiche heißen dann zum Beispiel ,Ressourcen und Infrastruktur‘, ,Strategie und Entwicklung‘ oder ,Personalmanagement und Einsatz‘. Wir sind doch keine Joghurt-Fabrik. Warum nicht: Armut bekämpfen, Schöpfung bewahren, Glauben feiern, Missbrauch verhindern …?“


Paulus und Freunde
Am Anfang stehen da ein paar Männer und Frauen an einem See und grillen Fische. Sie alle verbindet ein Mann, der eine außergewöhnliche Ausstrahlung hat. Seine Predigten, sein Leben und Sterben aus der Liebe heraus und schließlich seine Auferstehung sind so existenziell, dass sie mit Paulus und vielen anderen zu einer Bewegung im ganzen Mittelmeerraum und über Jahrhunderte wachsend zum Christentum führen, zu dem im Jahr 2022 laut Wikipedia weltweit 2,5 Milliarden Menschen zugehörig sind.

Bernadette Wahl
hat Theologie und Religionspädagogik
studiert, ist systemische Beraterin
und arbeitet für das Bistum Fulda
in der Citypastoral.

Amazon, Disney und Google sind nur drei von vielen Megakonzernen, deren Geschichte auch ganz klein, in einer Garage, begonnen hat. Alle verbindet: eine geniale Idee. Das Wachstum des Konzerns um die Idee macht es mit der Zeit schlichtweg notwendig, in die inneren Abläufe und Strukturen zu investieren. Google ohne eine Personalabteilung, Amazon ohne Ressourcen-Management oder Disney ohne strategische Ausrichtung – unvorstellbar! Warum denken wir, dass es bei der Kirche anders ist?
Ein Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn die Kirche kein Projektmanagement, keine Ressourcen- und Finanzplanung und keine strategische Entwicklung machen würde? – Aktuell sind schon einige Gemeinden in unserem Bistum ohne Pfarrer oder pastoral Mitarbeitende. Wer sorgt dafür, dass Fachkräfte nachkommen und die vorhandenen gut ausgestattet und flächendeckend verantwortlich eingesetzt werden?
Aktuell ist durch die vielen Kirchenaustritte immer weniger Geld im kirchlichen Haushalt. Wer entscheidet, welche Häuser und Kirchen abgegeben werden sollten? Und nach welchen Kriterien wird das entschieden? Und das alles in Zeiten, in denen die Glaubwürdigkeit der Kirche aus guten Gründen in der Kritik steht und sich die Rolle der Kirche in der Gesellschaft verändert.
Das Ziel von guter strategischer Entwicklung, Ressourcenplanung und Projektmanagement ist die Sorge, für möglichst gute Rahmenbedingungen für das zu sorgen, wofür Kirche da ist. Es nimmt nichts vom kirchlichen Auftrag weg, sondern wird ihm gerade erst gerecht: Glauben ermöglichen in dem Kontext, in den wir gestellt sind, und uns neu faszinieren zu lassen von dem Mann mit den Fischen am See.
Ganz ehrlich: Ich mag die Idee von kirchlichen Projektmanagern, Strategen und Personalplanern – und glaube, dass sie ein bisschen sind wie Paulus und seine Freunde.

 

Gute Arbeit wichtig
Joghurt-Fabrik? Ja, stimmt, vielleicht heißen die Abteilungen in einer beliebigen Firma genauso. Aber ist das so schlimm? Schließlich wird in der Zentrale ja verwaltet, geplant, Personal und Geld eingesetzt. Warum also keine allgemein üblichen Begriffe? Warum nicht schlicht Funktionen benennen?
Allerdings hört das sich schnell bürokratisch an, austauschbar und uninspiriert.

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung
im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Wählt man dagegen Ziele und Visionen in den Titel, entsteht das Risiko, zu großartig oder modisch zu wirken.
Es gibt keine neutralen Worte und Begriffe. Alles hat seine Tücken.
Begriffe können Vorurteile transportieren.
Wenn eine Abteilung Ehe und Familie hieß, dann klang es so, als ob Menschen, die nicht in Ehe und Familie leben, in der Kirche nicht beachtet würden (und manchmal war es vielleicht auch so).
Bezeichnungen definieren, worauf sich Aufmerksamkeit richtet, bestimmte Gruppen und Themen kommen vor oder nicht.
Begriffe können belastet sein.
Mission oder Evangelisierung ist so ein Wort. Es stellen sich bestimmte Bilder und Assoziationen ein, Die einen haben die Wahrheit, die anderen brauchen sie.
Begriffe können von Nicht-Insidern nicht verstanden werden.
Was ist mit „Glauben feiern“ gemeint? Und was genau ist „Bewahrung der Schöpfung“? Wobei erst mal geklärt werden müsste: Möchte man auch von Nicht-Kirchen-Menschen in seinen Bezeichnungen verstanden werden? Oder markieren wir damit das Eigene und haben unsere eigene Sprache?
Begriffe können euphemistisch sein, also aufgeblasen und unwahr.
Und manchmal verdecken sie die Realität. Dann versteckt sich dahinter etwas anderes, manchmal sogar das Gegenteil. In einer hierarchisch strukturierten Organisation können Begriffe wie Geschlechtergerechtigkeit oder Teilhabe schwierig sein.
Aber auch scheinbar neutrale moderne Begriffe wie Management oder Ressourcen haben Fallstricke. Sie kommen aus einer künstlichen Beratungssprache, aus einer Welt der Machbarkeit und Optimierung. Wo ist bei aller Tüchtigkeit da der Platz für Spirituelles, Verlust und Trost?
Alle Begriffe enthalten offene und verdeckte Ziele, bestimmte Bilder von Menschen und Beziehungen. Es hilft, es zu merken und sich das bewusst zu machen. Also sind die Überschriften nicht egal – gleichzeitig gibt es keine, die ohne diese Vor-Annahmen auskämen und damit einfach richtig wären. Auf jeden Fall: Begriffe müssen geklärt werden und vor allem gefüllt. Am Ende kommt es auf die gute Arbeit an, die geleistet wird, egal, unter welcher Überschrift.

 

An Taten erkennen
Der Begriff „Kirche“ steht für Gebäude wie den Mainzer Dom, aber auch für Menschen, die sich in einer Gemeinde begegnen. Kirche ist allerdings auch ein Funktionsbegriff.
Er kennzeichnet eine bestimmte Organisation. Und Organisation heißt: Verwaltung, Geldgeschäfte, Verträge, Personal, Regeln und Verfahren und so weiter.

Thomas Laubach (Weißer)
ist Professor für Theologische Ethik
an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
und lebt in der Nähe von Mainz.

Moderne Organisationen – auch die Kirchen – stehen unter Druck: Zeitdruck, ökonomischer Druck, gesellschaftliche Anfragen. Schnell wird heute gefragt: Brauchen wir die überhaupt? Warum kostet das so viel?
Viele Bistümer und kirchliche Organisationen haben sich deshalb in den letzten Jahren einem Entwicklungsprozess unterworfen. Das Ziel: professioneller zu arbeiten, Dienstleistungen besser zu erbringen, Ressourcen optimal zu nutzen.
Aus wirtschaftsethischer Perspektive ist das richtig. Das Geld, das die Kirchen haben, wird ihnen anvertraut. Von Menschen, die spenden, die Steuern zahlen, und von der gesamten Gesellschaft. Da kann man erwarten, dass damit gut gehaushaltet wird.
Deshalb haben sich viele Kirchenverwaltungen an Beratungsfirmen gewandt.
Mit denen werden auch Begriffe ins Haus geholt, die aus dem Management stammen. Hinter klingenden Namen aber verschwindet das, wofür Kirche und Glaube eigentlich stehen.
Namen sind allerdings eben auch nur Namen. Ein tolles Auto kann 2CV heißen und die Hausnummer 4711 steht für eine ganze Geschichte. Umgekehrt: Wenn eine Abteilung in der kirchlichen Verwaltung „Schöpfung bewahren“ heißt, dann ist nicht garantiert, dass hier wirklich für die Schöpfung gearbeitet wird.
Ethisch kann hier ein bibli-scher Satz leiten: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ (Matthäus 7,16). Ob Armut bekämpft, die Schöpfung bewahrt und vor Missbrauch wirksam geschützt wird, das garantieren nur die Menschen, die sich für ihren Glauben in der Kirche einsetzen. Das garantieren nur Strukturen, die dafür sorgen, dass die Werte des Glaubens im Mittelpunkt stehen. Wenn das passiert, ist es eigentlich egal, was an der Bürotür steht.