16.07.2015
Professor Rupert Scheule hält sie trotzdem für unersetzlich – Sein neues Buch ist ein Plädoyer
Das doppelte Leiden an Freiheit
Ethische Entscheidungshilfen sind einer seiner Arbeitsschwerpunkte: als Professor für Moraltheologie in Marburg und Fulda, als Berater von Kliniken, als Ständiger Diakon, als Familienvater… In seinem neuen Buch fordert er „Mut zur Freiheit!“ Auch, wenn der Titel so ganz anders lautet. Fragen an Professor Rupert Scheule zu seinem neuen Buch „Wir Freiheitsmüden“.
Sie schreiben, Sie hätten sich die Zeit fürs Buch aus den Rippen schneiden müssen. Warum ist Ihnen das Thema „Freiheit“ so wichtig?
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Rupert Scheule Foto: T.Becker |
Einerseits fragen wir uns zwischen Arbeitsverdichtung und Freizeitstress, wo denn eigentlich unsere Freiheit geblieben ist. Andererseits ist es auch nicht die reine Freude, wenn wir mal die Freiheit haben, dies oder jenes oder was ganz anderes zu wählen, zum Beispiel bei Mobilfunktarifen. Das finden wir dann stressig. Dieses doppelte Leiden – an zu wenig und zu viel Freiheit – interessiert mich. Ich glaube, es ist ein ganz spezielles Leiden meiner Generation.
Kann man den Umgang mit Freiheit erlernen?
Das müssen wir zumindest versuchen. Es geht darum, Ja zur Freiheit zu sagen und zu ihren Grenzen. Als begrenzte Freiheitswesen zu leben lernen, kann damit anfangen, dass wir es gar nicht erst auf den allerbilligsten Mobilfunkvertrag abgesehen haben, sondern nur auf einen, der billig genug ist. Wir selbst begrenzen unsere Freiheit beim Suchen – und gewinnen so Freiheit für vieles Andere jenseits der Mobilfunkvertragssuche.
Um Freiheit (aus-) zu leben braucht man Verantwortung. Wer will die noch übernehmen? Ist deshalb ein Laissez-faire häufig die Wahl der entschieden Unentschiedenen?
Wer zwischen 25 und 50 ist, sieht sich heute von lauter Alternativlosigkeiten umstellt: Es gibt keine Alternative zu diesem Wirtschaftssystem, zu Angela Merkel, zum Einkauf bei Aldi … Wundert es Sie da, wenn wir die wenige Freiheit, die wir haben, nicht durch schnelle Festlegungen beseitigen wollen?
Sie plädieren ernsthaft für „entschiedene Unentschiedenheit“?
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Finde deinen Weg! „Die Freiheit, zu uns selbst auf Distanz gehen zu können, führt uns zum Geheimnis unser Selbst.“ Sagt Rupert Scheule. Foto: fotolia |
Nein. Denn die nötigt uns in eine Endlosschleife der Jugendlichkeit, auch wenn wir schon in die Jahre kommen. Das ist peinlich. Ich schlage vor: Treffen wir heute starke Entscheidungen, gerade um künftig auch noch stark entscheiden zu können!
Wer sich nie so recht auf einen Partner eingelassen hat, wird nicht das Freiheitserlebnis haben, mit ihm gemeinsam die „große Lösung“ (gemeinsame Kinder und all die anderen Abenteuer der Gemeinsamkeit) zu wählen.
Wer Jahrzehnte lang rumstudiert, ohne sich festzulegen, landet am Ende dort, wo es für ihn leider sehr wenig zu entscheiden gibt: in unseren sozialen Sicherungssystemen. Wer hingegen seine Bildungszeit ernsthaft nutzt, dem eröffnen sich durch diese Entscheidung erst viele interessante Optionen.
Was ist die wesentliche Freiheit?
Nicht die Freiheit, zwischen Twix und Mars zu wählen, sondern die, zu uns selbst auf Distanz gehen zu können und so zu erfahren: wir sind mehr als die Rollenbilder, die wir ausfüllen, mehr als das Leben, das wir führen.
Diese Freiheit führt uns zum Geheimnis unser Selbst; das wir übrigens nie aufklären werden. Aber vielleicht sagt uns Gott dereinst, wer wir in Wahrheit sind.
Was ist der viel zitierte „Preis der Freiheit“?
Was das Tagesgeschäft unserer Wahlfreiheit angeht, so sind es die Entscheidungskosten beim Einkaufen, bei der Wahl der Schule für unsere Kinder oder beim Lesen einer Speisekarte mit 137 Pizza-Varianten. Das alles macht Arbeit. Es kostet uns Zeit und Nerven. Und dann ist da natürlich noch die Freiheit unserer Mitmenschen, die uns mitunter hart trifft. Jeder, der mal verliebt war und einen Korb bekam, weiß, wie schmerzlich man die Freiheit des Andern erleben kann. Aber: Das, was Sie eben „wesentliche Freiheit“ nannten, hat gar keinen Preis, diese Freiheit hat Würde. Wie alles, was unersetzlich ist.
Interview: Johannes Becher
Rupert Scheule: „Wir Freiheitsmüden“, Kösel, 19,99 Euro
Die Kirchenzeitung verlost fünf mal das Buch von Professor Rupert Scheule.
Bitte rufen Sie an am Montag, 20. Juli, von 10 bis 10.15 Uhr. Telefon: 06131 / 2875535