13.04.2016
Krankenhausseelsorger Dr. Bruno Pockrandt und seine Notate zu Flucht und Zuflucht
„Wir brauchen den Fremden“
Dr. Bruno Pockrandt hört gern zu. Als Krankenhausseelsorger am Nordwestkrankenhaus in Frankfurt braucht er Geduld und Ruhe. Dass er auch zornig werden kann, zeigen seine Gedichte. Von Ruth Lehnen.
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Bruno Pockrandt. Foto: Ruth Lehnen |
In der Krankenhauskapelle im Keller hängt an einem Kreuz ein rostiger Christus mit einem großen Ohr. Den Kopf hat er gewendet, zeigt sich im Profil. Bruno Pockrandt, Krankenhausseelsorger, kennt die Reaktionen auf dieses Christusbild. Er sagt dann immer, dass dieser Christus genau hinhört. Das gefällt den Kranken. Im Nordwestkrankenhaus gibt es viele ernste Fälle, viele Menschen mit Krebs und viele Menschen am Ende ihres Lebens. Seit 25 Jahren tut Bruno Pockrandt hier seinen Dienst: Immer wieder rein in den grauen Betonkasten, aber abends auch wieder raus zur Familie – anders als die Kranken. Pockrandt tut seine Arbeit gern, hält sie für sehr sinnvoll. Hier begegnet er Menschen, die in keiner Gemeinde auftauchen, Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten: „Jeder wird krank.“ Ist es nicht schwierig, immer wieder Geschichten von Krankheit und Tod zu hören? Der Pastoralreferent, der nächstes Jahr in den Ruhestand geht, lächelt: „Nennen Sie mir einen Beruf, der nicht schwierig ist.“ Er sei wie ein Anhalter, bestimme nicht, wohin die Reise geht. Aber er fährt ein Stück mit, hält Augen und Ohren auf.
Geschichten von Leiden und Sterben
Um mit den Geschichten umzugehen, hat er angefangen zu schreiben, meist Gedichte, auch Erzählungen. Etwas in eine sprachliche Form zu bringen, sei ein reinigender, ein schöpferischer Prozess. Die neuesten Aufzeichungen – Notate zu Flucht und Zuflucht nennt er sie – hat er den Flüchtlingen gewidmet: „Allen, die auf der Flucht vor dem Tod ihr Leben ließen.“
Er schreibt als kritischer Zeitgenosse, als Fernsehkonsument, als Zeitungsleser. Als Schockierter, der all das, was da berichtet wird, nicht fassen kann. Und es doch versucht zu fassen mit den Instrumenten, die ihm zur Verfügung stehen, seinem theologisch und philosophisch geschulten Verstand, seiner Glaubensüberzeugung: Er glaubt – „auch wenn das jetzt pathetisch klingt“ – „dass Gottes Zusage jedem Menschen gilt.“ Ja, besonders dem Fremden und Schutzbedürftigen. Er glaubt, dass „wir den Fremden brauchen – am Fremden wir selber werden.“ Da kommt auf einmal ein anderer Bruno Pockrandt zum Vorschein, ein kämpferischer. Katholizität sei doch zu verstehen im weltumfassenden Sinn! Kirche dürfe sich an der Hysterie nicht beteiligen! Was Österreich mache, sei skandalös! Pockrandt ist zornig, und seine Gedichte sind es auch.
Operation am steinernen Herzen
Seine schriftstellerischen Vorbilder sind der Schweizer Pfarrer Kurt Marti und der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch. Wie sie verbindet er Bibelworte und Bibelszenen mit Erfahrungen der Gegenwart – in einem überraschenden oder provokativen Sinn: „ich reiß euch/ das herz von stein aus/und schenke euch/ein herz aus fleisch... riskant die op... beim kollektiven bedarf/dürfte mit langen wartezeiten/zu rechnen sein.“ Oder er spielt mit Sprüchen: „das boot ist voll... tausende versinken im mittelmeer... kein grund zur besorgnis/ für aida und queen mary...“ Ist der Theologe ein Träumer oder ein Salonsozialist? Er glaubt an Solidarität und die Freundschaft der Menschen untereinander. Er glaubt so gar nicht an Abschiebungen und Zäune, an Abschreckung und Dichtmachen. Er beharrt darauf, die Flüchtlingssituation „durch der Brille des Evangeliums zu betrachten.“ Und das heißt für ihn, dass Gott unbedingt jedem Menschen in Liebe zugewandt ist. Und dass die Christen genau das überzeugend leben sollen. Müssen. Dürfen. Zur Lektüre empfiehlt er Matthäus 25, die Bergpredigt.
Das zieht die Frage nach sich, ob und wo er sich in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Im Moment als Schreibender, der seine Erlöse spendet. Als einer, der Lesungen hält, manchmal in Kapellen oder Kirchen, manchmal in Kliniken. Oft wird es dann ganz still, und er fühlt sich an die Andacht eines Gottesdienstes erinnert. Einmal sei auch einer rausgegangen. Aus Protest? Pockrandt weiß es nicht.
Bibel, Grundgesetz und Menschlichkeit
Und demnächst, im Ruhestand, kann er sich gut vorstellen, mit Flüchtlingen zu arbeiten. Der Frankfurter weiß mit „Arbeitsmigranten“ umzugehen, war neun Jahre Seelsorger der spanischsprachigen Katholiken in Frankfurt und Wiesbaden. Spanisch hat er damals gelernt. Erst vor elf Jahren hat der heute 64-Jährige seinen Doktortitel erworben, er hat keine Angst vor Neuem.
„Bibel, Grundgesetz und Menschlichkeit“ nennt Lektor Reiner Dickopf in seinem Vorwort zu Pockrandts neuem Buch als Heilmittel gegen die Angst vor dem Fremden und Neuen: Mit seinen Texten will Bruno Pockrandt diesen drei mehr Gehör verschaffen.
Zur Sache: Aktuelles Buch
Dr. Bruno Pockrandt hat bisher sechs Bücher veröffentlicht. Das aktuelle Buch heißt: „Etwas Besseres als den Tod findest Du überall. Die Notate zu Flucht und Zuflucht. Bezug des neuen Buchs über E-Mail: bruno.pockrandt@gmail.com [1]
Der Erlös des Bücherverkaufs fließt in die Unterstützung von Flüchtlingsprojekten.
Am 7. Juni liest Bruno Pockrandt in der Festeburggemeinde in Frankfurt/Preungesheim aus „Etwas Besseres als den Tod findest du überall. Notate zu Flucht und Zuflucht“.