25.04.2023
Das Ethik-Eck: Leihmutterschaft
Zwischen Elternglück und Ausbeutung
Die Frage lautet diesmal: „Leihmutterschaft. Ein schwules Ehepaar aus meinem Bekanntenkreis sucht derzeit in den USA eine Eizellenspenderin. Eine andere Frau soll das befruchtete Ei dann austragen als Leihmutter. Ist das moralisch in Ordnung? Schließlich fehlt dem Kind dann im Leben die Mutter. Wenigstens sollte es doch wohl wissen, von wem es abstammt.“
Evangelium leitet
Christiano Ronaldo, Nicole Kidman, Robbie Williams … die Liste der weltweit bekannten Promis ist lang. Auch Pop-Legende Elton John und Ehemann David Furnish haben per Leihmutter ein Kind bekommen.
und Religionspädagogik studiert,
ist systemische Beraterin und
arbeitet für das Bistum Fulda
in der Citypastoral.
Die rechtliche Lage zur Leihmutterschaft ist weltweit sehr unterschiedlich geregelt. Beispielsweise die Ukraine, Portugal und Israel erlauben die Leihmutterschaft. Das Embryonenschutzgesetz in Deutschland verbietet Leihmutterschaft.
Die beiden Knackpunkte: Die genetische und austragende Mutter bei der In-Vitro-Fertilisation muss identisch sein und die künstliche Befruchtung darf ausschließlich mit dem Ziel durchgeführt werden, die Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizellen stammen.
Die römisch-katholische Kirche positioniert sich mit der Instruktion Donum Vitae (1987) der Kongregation für die Glaubenslehre klar zu dem Thema: Ersatzmutterschaft ist moralisch nicht zulässig, weil „sie […] im Gegensatz zur Einheit der Ehe und zur Würde der Fortpflanzung der menschlichen Person [steht]“. Auch die evangelische und die orthodoxe Kirche, der Islam sowie der Taoismus verbieten die Leihmutterschaft. Das Judentum erhebt unter wenigen Bedingungen kein Verbot für eine Leihmutterschaft.
Es wird deutlich, in einer pluralen Welt sind wir mit unterschiedlichen moralischen Wertsystemen konfrontiert. Wie gehen wir damit um? Ich frage mich praktisch im Blick auf meine Bekannten: Ist die Frage nach der Moralität hilfreich für meinen Umgang mit ihnen? Inwiefern beeinflusst meine moralische Bewertung ihrer Entscheidung zur Leihmutterschaft mein Verhalten ihnen gegenüber?
Fuldas Bischof Michael Gerber spricht in seinem Hirtenwort 2023 sehr konkret über Spannungen und betont, dass „der Umgang mit solchen Spannungen nicht zum Bruch, nicht zur Radikalisierung von Positionen und zur Abschottung gegenüber Andersdenkenden“ führen sollte. Weiter schreibt er: „Unsere Reaktionen auf Spannungen und Polarisierungen lassen oft kaum erkennen, dass uns das Evangelium leitet“.
In den Evangelien fasziniert es mich, wie Jesus mit Spannungen umgeht. Sich in der absoluten Andersheit und irritierenden Fremdheit persönlich, liebevoll und nah zu begegnen, ohne sich und die eigenen Werte zu verleugnen – das ist für uns als Christen eine entscheidende Frage.
Willkommen heißen
Es wird immer schwierig, wenn so fundamental Wichtiges gegeneinander stößt: der Wunsch nach dem Lebensglück mit einem Kind – die Rechte des Kindes – moralische Prinzipien.
Ein gelungenes Leben – für viele gehört dazu ein Kind: für jemand sorgen, es aufwachsen zu sehen, miteinander Freude haben.
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung
im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.
Lange gab es eine biologische Grenze. Wenn es aus welchen Gründen auch immer keine Schwangerschaft gab, musste auf die Erfüllung des Wunsches verzichtet werden. Die moderne Medizin hat hier vieles möglich gemacht. Jetzt kann es eine persönliche Entscheidung sein. Gesellschaftlich wird um eine Bewertung mit Recht gestritten, manches hat sich etabliert, manches bleibt verboten. Oder ist nur im Ausland möglich.
Warum möchte man unbedingt ein Kind? Es gibt kein Recht auf ein Kind um jeden Preis. Wie selbstbezogen oder wie reif ist der Wunsch? Die Erfüllung kann sinnvoll sein, aber auch der Verzicht oder eine Form sozialer Elternschaft.
Und was ist mit den beiden Frauen, die Eizellen geben und das Kind austragen? Werden sie bezahlt? Ist das ein Geschäft? Beide Frauen haben Rechte, Gefühle, auch eine Beziehung zum Kind.
Auf der anderen Seite das Kind: welche Rechte hat es? Was braucht ein Kind, um gut aufzuwachsen? Eine Mutter oder erst mal Menschen, die es annehmen? Eine klare Abstammung oder ehrlichen Umgang mit den Fakten?
Viele Kinder wachsen in komplexen Familienverhältnissen auf. Patchwork, Halbgeschwister, neue Lebenspartner der Eltern. Auch die scheinbar geordnete Familie ist keine Garantie auf Glück und Gedeihen der Kinder. Und es gab schon immer Adoptionen und Kinder, die aus allen möglichen Gründen nicht bei leiblichen Eltern aufwuchsen, oder für die vielleicht der Großvater und die Nachbarin die wichtigsten Menschen waren. Alles Kinder, die trotzdem stabile Erwachsene wurden. Es bleibt schwierig zu bewerten: Wie viel darf man einem Kind zumuten? Eine komplizierte Situation selbst schaffen? Wie steht es um die eigenen Kräfte? Wer unterstützt?
Dann gibt es die Vorbehalte ringsum: Darf man das? Viele üben sich ja noch in Toleranz gegenüber anderen Lebensformen; es gibt noch wenig Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren mit Kindern.
Es helfen wohl nur selbstkritische Fragen nach allen Seiten: Wichtig scheint das ernsthafte und ehrliche Nachdenken über die eigenen Gründe zu sein. Und über die Rechte aller Beteiligten. Viele Fragen und keine eindeutigen Antworten. Was eindeutig ist: Sollte eventuell demnächst noch ein Baby zum Bekanntenkreis hinzukommen, freuen Sie sich mit und heißen Sie es willkommen.
Stabile Bindungen
Sich ein Kind wünschen und dann niemals eins bekommen? Das ist in Deutschland bittere Realität. Etwa vier von hundert Paaren bleiben ungewollt kinderlos. Einige Auswege: Eine Eizellen- oder Samenspende oder die Leihmutterschaft. So können sowohl hetero- wie homosexuelle Paare ihren Kinderwunsch erfüllen. Ob dieser Weg richtig ist? Das wird kontrovers diskutiert. Kein Wunder: Das Problem ungewollter Kinderlosigkeit und möglicher Lösungen ist komplex.
für Theologische Ethik an der Otto-
Friedrich-Universität Bamberg und
lebt in der Nähe von Mainz.
Die Moral fragt: Ist das richtig und gut? Da ist zu beachten: Familie war schon immer mehr als die Normalfamilie, mehr als Mutter, Vater, Kinder. Familie entsteht vor allem durch das Füreinander-da-Sein.
Und so zeigen Untersuchungen weltweit: Kinder brauchen Bezugspersonen, die eine stabile Bindung ermöglichen, die auf die kindlichen Bedürfnisse eingehen können. Geschlecht, Alter oder sexuelle Orientierung der Bezugspersonen spielen da keine Rolle. Dass ein Kind eine biologische Mutter braucht, ist ein Klischee.
Die Ethik fragt vor allem nach den Beteiligten. Für die potentiellen Eltern ist die reproduktive Autonomie zu achten. Das Recht, selbstbestimmt über Familiengründung und Kinderzahl bestimmen zu können.
Dafür aber eine Leihmutter zu bemühen, das kann kritisch gesehen werden. Denn Leihmutterschaft lässt sich als moderne Form der Ausbeutung von Frauen verstehen, weil sie ihren Körper gegen Geld zur Verfügung stellen. Auch für die Kinder hat die Leihmutterschaft Auswirkungen. Sie werden zu Objekten, zum Gegenstand eines Warengeschäfts. So betragen die Kosten für ein solches Kind um die hunderttausend Euro.
Zudem gilt das Recht auf Selbstbestimmung auch für jedes Kind. Das heißt: Jedes Kind darf wissen, wer seine biologischen Eltern sind. Das spricht gegen eine anonyme Samen- oder Eizellspende. Denn das Wissen um Identität und Herkunft ist für jeden Menschen elementar.
Es ist beim Thema Leihmutterschaft wie bei allen Fragen, die den Anfang des Lebens betreffen: Ethisch sind die vielen verschiedenen Perspektiven genauer in den Blick zu nehmen und nicht vorschnell zu urteilen.