02.05.2023

"Alte Mauern – neues Leben": Burg Greifenstein

Wenn Glocken mahnen, warnen, rufen

„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Heute geht es zur Burg Greifenstein im Lahn-Dill-Kreis. Dort kümmert sich der Greifenstein-Verein um den Erhalt der Burganlage mit einer einzigartigen Doppelkirche und der „Glockenwelt Greifenstein“. Von Heike Kaiser


Die Burganlage gehört seit 1969 dem Greifenstein-Verein.


Es ist ein herrlicher Panoramablick von hier oben, auf einer Höhe von 441 Metern, vom Burghof auf die Landschaft rund um Greifenstein im Lahn-Dill-Kreis. Der Platz, umgeben vom „Dreiklang“ Burganlage, Doppelkirche und Glockenmuseum, wird dominiert von einer riesigen, ausladenden Linde. Ein Schild verrät, dass sie im „Dreikaiserjahr“ 1888 gepflanzt wurde – „und deshalb ist sie ein Naturdenkmal“, erläutert Dr. Wolfgang Leineweber, evangelischer Pfarrer im Ruhestand und stellvertretender Vorsitzender des Greifenstein-Vereins. „Die Festung“, ergänzt er ein wenig stolz, „ist nie eingenommen worden.“
Der knapp 80-Jährige ist ein kundiger Führer. Er berichtet, dass in den nächs-ten Jahren rund drei Millionen Euro in die Sanierung der Burganlage investiert werden müssen. „Für Unterhalt, Erhalt und Betriebsbereitschaft eines so alten Gemäuers zu sorgen, ist schon ein großes Problem für den Verein“, sagt Leineweber. Aber das sei notwendig, „damit Besucher auch weiterhin die Baugeschichte nachvollziehen können“. Und immerhin liege die letzte Sanierung inzwischen rund 50 Jahre zurück. Im Sommer soll auf Burg Greifenstein ein großer Mittelaltermarkt stattfinden. „Vorausgesetzt, dass bis dahin ein neuer Fluchtweg genehmigt und eingerichtet ist“, räumt Leineweber ein.
Rund 16 000 Menschen besuchen jedes Jahr die Burg Greifenstein. „Am Ostermontag waren es mehr als 200“, freut sich Leineweber.  Auch heute sind hier Familien mit Kindern unterwegs. Ihr erstes Ziel ist die „Glockenwelt“, eine Ausstellung im Glockenmuseum, das seit 1984 im Geschützturm „Roßmühle“ der Burg beheimatet ist.
Rund 100 Glocken können bei einem Rundgang besichtigt werden, untergebracht auf drei Etagen. Im Eingang der „Glockenwelt“ zieht eine überdimensionale Windrose die Blicke auf sich: Sie zeigt nicht nur die vier Himmelsrichtungen an, sondern verweist auch darauf, wo und wie weit entfernt berühmte Glocken und Orte, an denen sie untergebracht sind, sich befinden – weltweit.
Überraschend viele Hinweise auf Literarisches sind in der Ausstellung zu finden. „Schiller war ja bei Weitem nicht der Einzige, der über Glocken ein Gedicht geschrieben hat“, erzählt Leineweber schmunzelnd. Eine Plakette informiert über Hans-Georg Rincker (1929 bis 1990), den Begründer des Glockenmuseums, einstiger Besitzer der Glocken- und Kunstgießerei Rincker im nahegelegenen Sinn. „Bis heute übernimmt die Firma die Wartung der Glocken“, unterstreicht Wolfgang Leineweber. Denn: „Jede Glocke ist wie eine Persönlichkeit, hat eine eigene Geschichte.“
Wie zum Beispiel jenes Exemplar, das die Polizei in einer Garage gefunden und dem Museum überlassen hat. „Wir wissen allerdings nicht viel mehr darüber, als dass sie in England gegossen wurde.“ Sollte in den nächsten zehn Jahren kein Besitzer ausfindig gemacht werden, darf das Museum sie behalten.
Glockenformen, Glockenguss, Verzierungen, Klangbild, Glockenmauern, Spendernamen: Jede Station der Ausstellung informiert über Details der Entstehung und der Funktion von Glocken. „Sie haben und hatten durchaus auch profane Aufgaben“, erläutert der stellvertretende Vorsitzende des Greifenstein-Vereins. „Die sogenannte 11-Uhr-Vesperglocke erinnerte einst Arbeiter auf dem Feld daran, dass bald Mittagspause ist. Das Sturmläuten machte auf Gefahren wie Feuer oder Angriffe auf kommunale Einrichtungen aufmerksam. Mit der Schiffsglocke wurden und werden teilweise heute noch Zeit und Wachrhythmus angegeben, als Nebelglocke sendet sie bei schlechter Sicht Warnsignale“, nennt er Beispiele.
„Mahnen – Bannen – Warnen – Rufen – Gliedern“ ist eine Station der Ausstellung überschrieben. Zu sehen sind hier unter anderem Kuhglocken, Schiffsglocken, eine Fahrradklingel, eine handbetriebene Feuerglocke, Kirchturmuhren.
Von der untersten Etage sind Kinderlachen und Töne zu hören. Kein Wunder: In der „Glockenwelt“ wird dazu eingeladen, Glocken nicht nur anzuschauen, sondern auch zum Klingen zu bringen.

Greifenstein-Verein, Telefon: 06449 / 65 60, www.burg-greifenstein.net

 

ZUR SACHE

Doppelkirche
Die Barockkirche von Burg Greifenstein ist eine der wenigen erhaltenen Doppelkirchen in Deutschland. Die spätgotische Katharinenkapelle entstand 1448 bis 1476, über ihr wurde 1683 bis 1691 eine barocke Saalkirche errichtet. Das Stuckwerk im Innenraum schuf Johannes de Paerni ab 1686 im Stil des italienischen Frühbarock. Insgesamt sind 65 Engel und Putten dargestellt, die wehende Bänder und Blumengirlanden halten.
Die spätgotische Katharinenkapelle ist ein schlichter zweigeteilter rechteckiger Raum mit ein Meter dicken Mauern, in den ein 3,50 Meter breiter spitzbogiger Chorbogen eingezogen ist. Der Boden ist mit großen Steinplatten belegt, die teils rekonstruiert wurden. Seit Einführung der Reformation ist auch die Katharinenkapelle evangelisch. Eigentümerin der Doppelkirche ist die evangelische Kirchengemeinde Greifenstein mit knapp 400 Mitgliedern. Sie gehört zum Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill in der Evangelischen Kirche im Rheinland. (kai)

 

CHRONIK

Kulturdenkmal
Burg Greifenstein, mit 441 Meter die höchstgelegene Burg des Lahn-Dill-Kreises, wird 1160 erstmals urkundlich erwähnt. Nachdem sie unter verschiedenen Besitzern bis 1676 verfallen war, hat Graf Wilhelm Moritz von Solms-Greifenstein sie zum barocken Schloss ausgebaut. 1693 siedelte er nach Braunfels über, die Anlage verfiel. 1969 kaufte der Greifenstein-Verein die Burg zum symbolischen Preis von 1 DM und kümmert sich um den Erhalt.
Die Burg ist ein Kulturdenkmal. Ihre Restaurierung wurde seit 1995 von der Bundesrepublik Deutschland gefördert, da sie als „Denkmal von nationaler Bedeutung“ eingestuft wurde. (kai)

Von Heike Kaiser