18.05.2021
Jahresserie "Beste Freunde": Tiere als Gefährten
Zu Besuch in Lamahausen
Wer einmal in Lamahausen war, kommt zu 95 Prozent wieder. Sagen die Eigentümerinnen. Abenteuer und Pädagogik lautet ihr Konzept. Wer Glück hat, findet besondere Freunde.

„Wir sind hier eine Mensch-Tier-WG“, erklärt Schwester Debora Schneider. Die gottgeweihte Frau in Ordenstracht ist für ihren Lebensunterhalt selbst zuständig. Von Beruf Religionspädagogin, Gemeindereferentin, Trainerin für emotionale Kompetenz und Entspannungstherapeutin, wirkt sie ehrenamtlich als pädagogische Leiterin von Lamahausen. Beschäftigt ist sie beim Sozialdienst katholischer Frauen (skf) in Fulda. Träger des Mensch-Tier-Begegnungshofs ist der gemeinnützige Verein „Lamas helfen Menschen“. Auch dessen Vorsitzende Karin Grygier bewirtschaftet den Hof ehrenamtlich. Beruflich ist die Gymnasiallehrerin und Journalistin als Qualitätsmanagerin in einer Klinik tätig.
Wie der Mensch, so scheinen auch Tiere die Nähe zu anderen Lebewesen zu schätzen
Lachend öffnen die beiden Frauen das hellblau gestrichene Tor zum Hof. Schwester Debora scherzt: „Noch sehen Sie uns in sauberer Kleidung. Das sagen wir zu jedem Besucher, bevor es zu den Tieren geht.“ Die Nandus Tiffy und Bibo recken neugierig ihre Hälse. Ich bin gekommen, um einige der Tierpersönlichkeiten kennenzulernen. Ob ich mit jemandem von ihnen Freundschaft schließen könnte?
Einer scheint jedenfalls einen unkomplizierten Charakter zu haben. Prinz sitzt in den Armen von Karin Grygier. Mir gefällt sein fellartiges Gefieder. Als vermeintliches Chinesisches Seidenhuhn hörte der Vogel in seinen ersten Lebensmonaten nach einem Brüteprojekt in einem Münchner Klassenzimmer auf den Namen Olga. Dann stellte sich heraus: Das Huhn ist in Wahrheit ein Hahn. Gerne lässt der sich von Menschen streicheln oder herumtragen.
Gegenseitige Zuneigung, Zusammenklang der Persönlichkeiten, besondere soziale Wechselwirkung – so wie der Mensch scheinen auch Tiere die Nähe zu einem anderen Lebewesen zu schätzen. Dafür gibt es Beispiele zwischen Artgenossen, zwischen Tier und Mensch und sogar zwischen Tieren unterschiedlicher Arten. Wenn zwei lebendige Individuen freiwillig und gerne ihre Zeit miteinander verbringen, ist das Freundschaft?
Fünf Alpakas, jedes ist anders
Pfau Henry bleibt heute lieber im Gehege bei seinen Hennen. So kann ich die Farbenpracht des Gefieders nur zum Teil bewundern. Aber er grüßt mit lauten Rufen. Einige Hühner und Puten scharren, picken und wandern herum. Schafe stillen ihren Hunger. Mensch und Tier auf Augenhöhe zusammenbringen, das ist das Ziel auf dem Hof. Alle Bewohner haben Namen. Und alle zeigen sich mit ihrem eigenen Charakter. „Sie sind wild, scheu, verspielt, manche haben nur wenig Interesse an der Begegnung“, erläutert Schwester Debora.
In aller Frühe versorgen die beiden Frauen täglich ihre Tiere, bevor sie tagsüber je ihrem eigenen Broterwerb nachgehen. Ich bewundere die Disziplin. Beide winken ab: „Das ist wie in einer Familie. Da macht man das an einem Tag lieber und am anderen Tag auch.“ Bei Sturm und Kälte oder bei brütender Hitze nach den Tieren schauen, sie auch in Alter und Krankheit unterstützen. „Alle haben das Versprechen, hier auf Lebenszeit zu bleiben“, so Schwester Debora. „Die zu uns kommen, die sterben einmal auch bei uns.“
Ich treffe die fünf Alpakas in ihrem Gehege. Apatchi schaut forschend, wer denn da kommt. Gaucho scheint besonders nett zu lächeln. Pedro zeigt seine schicke Frisur. Pumuckel stupst mich keck an der Schulter. Und Diego kommt auf mich zu, als ob wir uns schon lange nahe stünden. Zur Begrüßung schleckt er an meiner ausgestreckten Hand. Es geht darum auszuprobieren, wer sich auf mich einlässt.
„Diese freien Tierbegegnungen sind etwas total Faszinierendes“, schwärmt Schwester Debora. Sie berichtet von einer Besucherin, die weinend auf einer Wiese saß. Ein eher scheuer und ängstlicher Hund gesellte sich plötzlich dazu und legte ihr die Pfote auf die Schulter. Die Frau habe noch mehr geweint. Hinterher habe sie erklärt, das sei einer der schönsten Augenblicke in ihrem Leben gewesen.
„Wir haben bis heute Kontakt“, erzählt Schwester Debora. „Menschen sind manchmal sehr verkopft und wissen nicht, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen sollen. Dieser Hund kam einfach dazu, die Frau entspannte sich.“
Beim Misten nachdenken, was im eigenen Leben ausgemistet werden müsste
Frederiks Vorfahren stammen aus Neuseeland. Er ist ein Kunekune-Schwein und hat gerade ausgiebig im Schlamm gesuhlt. In den 1970er Jahren gab es diese Rasse nur noch vereinzelt in Maori-Gemeinden. Ein Erhaltungszuchtprogramm sicherte ihnen das Überleben. Schwein Frederick ist freundlich und ruhig. Außerdem enorm intelligent. Als Schwester Debora einmal ihre Hunde trainierte, gesellte er sich hinzu. Sie erzählt: „Noch bevor die Hunde die Tricks kapierten, hatte Frederik alles allein durch Zuschauen drauf.“
Manche Begebenheiten überraschen die Frauen selbst. Wenn „das typische Mädchen“ im Sommer mit einem Schwein in der Matschkuhle Freude hat. Oder wenn „der coole Junge“ aus dem Ferienzeltlager unbedingt um 6 Uhr in der Frühe bei den Schafen zum Füttern und Ausmisten dabei sein will. Auch Schwester Debora scheint das zu erden. „Ich hatte noch gar nicht erwähnt, wie schön es ist, inmitten der Tiere das Stundengebet zu beten oder beim Misten darüber nachzuspüren, was im eigenen Leben einmal wieder ausgemistet werden müsste“, schiebt sie nach.
Nun geht es zu den Eseln Mara und Lilli. Große Hoftiere gehören zu den Aufgaben von Karin Grygier. Mara habe einen ganz sanften Charakter, verrät sie. Wäre ich noch Kind, hätte ich sicher gerne mal auf dem Eselsrücken gesessen. Einige Lamas gesellen sich im Begegnungsbereich dazu – die Namenspaten für Lamahausen. Lamas waren die ersten Tiere, die die beiden Frauen kauften.
Im Gespräch kommen wir auf den heiligen Franz. Auch er gilt als Freund der Tiere. „Der Franz von Assisi hat sich als Geschöpf unter anderen Geschöpfen gesehen und eben nicht als jemand, der darüber steht und dem das alles gehört“, erklärt Karin Grygier. „Ganz so, wie wir das machen wollen.“ Schwester Debora stimmt zu: „Das wollen wir ja auch.“
Mit Alpaka Diego würde ich gerne mal wandern gehen. Ich stelle mir das entschleunigend vor. Vielleicht besuche ich ihn bald auf der Hofweide. Mit Aussicht bis zur Wasserkuppe. Ob er sich von mir dann das zottelige Fell streicheln lässt, weiß ich nicht. Genau das ist spannend an einem Besuch hier: Inwieweit sich das Vertrauen eines Tiers als Freund erwerben lässt.
Text und Fotos von Evelyn Schwab
Kontakt nach Lamahausen: Bubenbader Weg 8,
36115 Hilders-Rupsroth,
Telefon 06681 / 9 67 38 27
E-Mail: info@lamahausen.de